Kinder des Wassermanns
etwas von einer größeren Welt da draußen gehört, einer Welt, die ihr vielleicht nicht nur die Wahl ließ, eine sich zu Tode schuftende Ehefrau oder eine Nonne zu werden ... Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Tomislav, ihr Vater, mich aufsuchte und fragte, ob Mihajlo eine Heirat im Sinn habe.
Was konnte ich antworten? Ich kannte meinen Jungen. Wenn er heiratete, würde es des Zugewinns wegen sein; inzwischen wollte er seinen Spaß haben, und hinterher auch. Tomislav dankte mir für meine Offenheit und sagte, die beiden dürften sich nicht mehr sehen. Weil ich viel von ihm halte, stimmte ich zu. Mihajlo stritt mit mir herum, doch am Ende gab er mir sein Versprechen. So viel bedeutete sie ihm wieder nicht.«
»Aber er ihr ...«, sagte der Wassermann kaum hörbar. »Und ihr Vater ... sie muß auch ihn geliebt haben. Schwermut ergriff sie, als sie auseinandergerissen wurden ...«
»Man fand sie im See treibend«, unterbrach Iwan rauh. »Es scheint, daß sie seitdem dort spukt. Doch ihr habt nichts von ihr zu fürchten, ihr Seevolk. Brauchen wir noch mehr über diese traurige kleine Geschichte zu reden?« Er hob sein Glas. »Kommt, betrinken wir uns.«
Tomislav kehrte am Morgen nach Hause zurück. Zuerst suchte er Vanimen auf, um ihm Lebewohl zu sagen.
Es war eine Morgendämmerung, die der Regen reingewaschen hatte. Die beiden standen am Rand des Waldes. Der Himmel war weiß im Osten, blau über ihnen, noch dunkel genug im Westen, daß man einen Planeten sehen konnte, der dem untergegangenen Mond nachzog. Die Bäume hatten alle die Farben von Bronze und Messing und Blut angenommen, und die abgefallenen Blätter raschelten unter den Füßen. Stoppelfelder waren von Bodennebel bedeckt. In der Ferne krähten Hähne, das einzige Geräusch in der Kälte.
Tomislav lehnte seinen Stock gegen einen Baumstamm und ergriff Vanimens rechte Hand mit seinen beiden Händen. »Wir werden uns wiedersehen, oft«, gelobte er.
»Das würde mich freuen«, antwortete der Wassermann. »Zumindest könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß ich nicht aus dieser Gegend davonziehe, ohne Euch besucht zu haben.«
Der Mann hob die Brauen. »Warum solltet Ihr überhaupt gehen? Hier werdet Ihr geliebt, Ihr und Euer ganzer Stamm.«
»Wie ein Hund geliebt wird. Wir waren frei in Liri. Sollen wir zahme Tiere werden, ganz gleich, wie freundlich unsere Besitzer sind?«
»Oh, Ihr würdet niemals Leibeigene sein, wenn es das ist, was Euch beunruhigt. Eure Fertigkeiten sind zu wertvoll.« Tomislav hielt inne. »Doch besser wäre es, Ihr würdet Christen.« Der Eifer flammte in ihm auf; plötzlich war sein Gesicht nicht mehr unscheinbar. »Vanimen, laßt Euch taufen! Dann gibt Gott Euch eine Seele, die in der Glorie Seiner Gegenwart die Sterne überlebt.«
Der Wassermann schüttelte den Kopf. »Nein, guter Freund. Im Laufe der Jahrhunderte bin ich dreimal Zeuge geworden, welches Geschick jene von unserm Volk ereilte, die es taten.«
»Und ...?« fragte der Priester nach einem Augenblick des Schweigens.
»Ich vermute, sie erhielten, wonach sie verlangten, die Unsterblichkeit im Himmel. Aber hier auf der Erde vergaßen sie das Leben, das sie gelebt hatten. Alles, was ihr Selbst ausmachte, verging – Träume, Freuden, Reisen. Übrig blieben demütige Unterlinge, deren Füße mißgestaltet waren.« Der Meereskönig seufzte. »Tomislav, so schrecklich ist mir der Gedanke daran, nach dem Tod auf immer ausgelöscht zu werden, nicht. Meine Leute empfinden ebenso.«
Der Mann stand unverzagt; sein grauer Bart bewegte sich leicht im ersten Wehen eines aufkommenden Windes. »Vanimen«, drängte er, »ich habe über diese Dinge nachgedacht, angestrengt nachgedacht ...« – für einen Augenblick verzerrte sich sein Mund – »... und mich dünkt, daß Gott nichts vergebens geschaffen hat. Nichts, was von Ihm ist, wird vergehen. Ja, das mag Häresie von mir sein. Trotzdem kann ich hoffen, daß Euch am Jüngsten Tag das gegeben wird, was Ihr jetzt verschmäht.«
»Ihr mögt recht haben oder auch nicht«, entgegnete Vanimen. »Wenn es so ist, schätze ich es trotzdem gering. Ich, der ich Narwale unter dem nördlichen Eis gejagt und Buhlen gehabt habe, die wie Nordlichter waren ...« – seine Stimme wurde leiser – ,,... ich, der ich mit Agnete gelebt habe ...« Er zog seine Hand weg. »Nein, das alles werde ich nicht für Eure blasse Ewigkeit eintauschen.«
»Aber Ihr versteht nicht«, entgegnete Vater Tomislav. »Oh, ich habe Legenden gelesen; ich weiß,
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