Kinder des Wassermanns
waren ihm auf den Rücken gebunden, was ihm das Klettern schwermachte. Zweimal fiel er, zu ihrem lauten Ergötzen. Seine Kleider waren blutbefleckt und stanken, aber sein flatterndes Haar und sein dauniger Bart fingen den Glanz der noch unsichtbaren Sonne ein. Er spreizte die Beine weit gegen das Rollen des Schiffs und trank tief die feuchte, wilde Luft ein.
Torben und Palle hielten Wache an den Schanzkleidern. Lave und Tyge bewachten den Gefangenen. Ingeborg stand auf der Seite, das Gesicht ausdruckslos, ein Glosen in den Augen. Unerschrocken blickte Niels auf Ranild. Der Skipper hielt die Schlinge eines Taus in der Hand, das über die Rahnock lief. „Da wir keinen Priester haben“, sagte der Junge, „wirst du mich da noch ein Vaterunser sprechen lassen?“
„Warum?“ fragte der Skipper mit Nachdruck.
Ingeborg trat näher. „Vielleicht kann ich dir die Beichte abnehmen.“
„He?“ Ranild war verblüfft. Gleich darauf begannen er und seine Männer zu wiehern. „Also, von mir aus …“
Er winkte Lave und Tyge zurück und trat selbst an den Bug. Niels stand verletzt und erstaunt da. „Macht schon“, schrie Ranild durch Wind und Wellenschlag. „Führt uns eine gute Pose vor! Du bleibst am Leben, solange du deine Rolle durchhältst, Niels.“
„Nein!“ rief der Gefangene. „Ingeborg, wie konntest du?“
Sie faßte seine Stirnlocke, zog trotz seines Widerstands sein Gesicht nah an ihres heran und flüsterte ihm etwas zu. Sie sahen, wie sich sein Körper spannte, sie sahen, daß er sich erregte. „Was hast du gesagt?“ wollte Ranild wissen.
„Laßt mich leben, vielleicht erzähle ich es euch dann“, antwortete Ingeborg keck. Sie und Niels ahmten das Ritual nach, so gut sie konnten, und die Seeleute brüllten vor Gelächter.
„Pax vobiscum“, endete sie, die auch Kleriker gekannt hatte. „Dominus vobiscum.“ Sie schlug über den knienden Jüngling das Kreuz. Es gab ihr die Gelegenheit, ihm zuzuflüstern: „Gott vergebe uns dies und vergebe mir, daß Er nicht der Herr ist, den ich gerufen habe. Niels, wenn wir uns nach dem heutigen Tag nicht wiedersehen, lebe wohl.“
„Du auch, Ingeborg.“ Er stellte sich auf die Füße. „Ich bin bereit“, sagte er.
Ranild – verwirrt, mit mehr als nur geringem Unbehagen – kam mit der Schlinge in der Hand auf ihn zu.
Und plötzlich kreischte Ingeborg. „Ha-a-a-a-ah!“ Sie krallte die Fingernägel nach Laves Augen. Er sprang zur Seite. „Was zum Teufel …?“ würgte er hervor. Ingeborg hing an ihm, kratzend, beißend, schreiend. Tyge eilte zur Hilfe. Niels senke den Kopf, preschte vor und stieß ihn Ranild in den Magen. Der Kapitän setzte sich auf seinen Hintern. Niels trat ihm in die Rippen. Torben und Palle sprangen von den Schanzkleidern, um den Jungen zu ergreifen. Sivard sah von oben mit offenem Mund zu.
Die Delphine waren so viele Stunden im Kreis herumgeschwommen, um die Mannschaft davon zu überzeugen, aus dem Wasser sei keine Gefahr zu erwarten, daß sie es nicht weiter beobachteten. Zu spät rief der Mann im Krähennest eine Warnung hinunter.
Eyjan stürmte unter dem Achterdeck hervor. Das Messer in ihrer Hand blitzte auf.
Aus der See kam Tauno. Er hatte seine Lungen geleert, während er sich an dem von Seepocken besetzten Rumpf festgehalten hatte, unter der Ausbauchung des Vordecks verborgen. Jetzt erhob sich ein Delphin neben ihm. Mit Fingen und Zehen faßte Tauno die Rückenflosse, und der Sprung trug ihn halbwegs vom Wasser bis zum Schanzdeck. Er faßte die Reling und schwang sich an Bord.
Palle wollte sich umdrehen. Der Sohn des Wassermanns faßte den Pikenschaft mit der linken Hand, die rechte stieß den Dolch in Palles Körper. Der Seemann schrie und blutete stark. Tauno rammte Torben das stumpfe Ende der Pike in die Rippen. Torben taumelte zurück.
Tauno durchschnitt das Tau, das Niels’ Handgelenke fesselte. Er reichte ihm das zweite Messer, das er bei sich trug. „Hier, das hat Ken-nin gehört!“ Niels stieß einen einzigen Dankesruf an den Herrn der Heerscharen aus und stürzte sich dann auf Torben.
Lave hatte immer noch Mühe, Ingeborg abzuwehren. Eyjan kam von hinten und trieb ihm die eigene Klinge in die Schädelbasis. Bevor sie den Stahl aus der Wunde ziehen konnte, stach Tyge mit der Pike nach ihr. Mit verächtlicher Mühelosigkeit duckte sie weg und unterlief seine Deckung. Was als nächstes geschah, braucht nicht erzählt zu werden. Das Seevolk führte keine Kriege, aber es wußte, wie man einen Feind
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