Kinder des Wassermanns
Doch wir haben in diesen vielen Tagen nur wenig von dem gelernt, was ein Seemann wissen muß. Ich kann nur erraten, was am besten geeignet ist, uns zu retten.“
Er legte die Hand über die Augen und spähte in den Sturm hinaus. „Und das brauche ich nicht zu erraten“, setzte er hinzu. „Ich habe im Laufe der Jahrhunderte zu viele Unwetter erlebt. Es ist kein Sturm, der sich selbst über Nacht erschöpft. Nein, es ist ein Ungeheuer, das aus Grönland und dem nördlichen Eis jenseits davon kommt. Wir werden uns länger in seinen Fängen befinden, als ich mir ausmalen möchte.“
„Es ist aber nicht die Jahreszeit dafür, nicht wahr?“
„Nein, eigentlich nicht, obwohl ich in den letzten paar hundert Jahren schon öfter erlebt habe, daß sich über Eisbergen und Gletschern kalte Winde zusammenbrauen. Nenne es eine Laune der Natur und nenne uns vom Unglück verfolgt.“
Vanimen behielt seine geheimsten Gedanken für sich. Der Wachtposten, den er erschlagen hatte, um dieses Schiff zu gewinnen, ein Mann, der ein solches Schicksal nicht verdiente, hatte ihn zuerst verflucht … und dann den Höchsten und seinen eigenen Heiligen angerufen … Der König hatte es niemals irgend jemandem erzählt. Er glaubte auch nicht, daß er es je tun würde.
Wenn sie sanken … Sein Blick wanderte zum Hauptdeck und verweilte dort. Die meisten von ihnen würden sterben, die schönen Meerfrauen, die so viel Freude gaben und nahmen, die Kinder, die erst noch lernen mußten, was Freude in Wahrheit ist. Er selbst mochte irgendeine fremde Küste gewinnen, aber was nützte ihm das?
Genug davon! Er wollte tun, was in seiner Macht lag. Ganz gleich, wie lang ein Leben währte, am Ende konnte keiner den Netzen Rans entrinnen.
Vanimen schickte einen Jungen, die stärksten Männer die Strickleiter heraufzurufen. In der Zwischenzeit wiederholte er im Geist die Befehle, die er geben wollte. Wenigstens hatte sein Stamm gelernt, dem Kapitän schnell Gehorsam zu leisten, etwas, das in der Geschichte seiner Rasse völlig neu war. Aber besondere seemännische Geschicklichkeit hatten sie sich nicht erworben. Seine eigene war kaum größer.
Der Ruf nach Hilfe war nicht zu früh ergangen. Das Reffen des Segels in dem schnell stärker werdenden Wind wurde zu einem wilden Kampf. Tuch und Leinen schlugen die Männer blutig, während das Schiff hilflos einer großen Woge nach der anderen ausgeliefert war. Nicht wenige Fahrgäste wurden über Bord gespült. Ein Säugling starb, als sein Schädel gegen einen Poller schmetterte. Auch wenn das Seevolk mit dem Tod vertraut war, würde Vanimen diesen Anblick nicht so schnell vergessen, auch nicht das Gesicht der Mutter, als sie die Überreste in ihre Arme nahm und sich in eine See stürzte, die freundlicher sein mochte.
Es war gefährlich, so etwas vorauszusetzen, das wußte Vanimen. Das Wasser umarmte einen, gab Schutz vor Sonne und Unwetter, lieferte Nahrung. Aber es saugte auch die Wärme aus dem Körper, die nur durch viel Essen wieder ersetzt werden konnte, und in seinem Reich lauerten ungezählte Mörder. Er ließ Taue vom Deck herabhängen, damit sich die Schwimmer daran eine Zeitlang festhalten und ausruhen konnten, wenn es nicht möglich war, an Bord zu kommen. Es mochte auch als Vorsichtsmaßnahme dienen, daß sie das Schiff nicht verloren.
Jetzt war die volle Gewalt des Sturms schon beinahe über ihnen. Vanimen ging nach achtern. Im Stern unter dem Achterdeck standen zwei Wassermänner am Ruder. Ihr Dienst war nun, wo sie das Schiff einfach dem Wind überließen, weniger anstrengend. Vanimen gab ihnen Rat, versprach rechtzeitige Ablösung und ging wieder. In den Rumpf waren winzige Kabinen eingebaut, steuerbords für den Kapitän, backbords für seine Offiziere. Auf dieser Fahrt wurden sie selten benutzt, weil das Seevolk sich in ihnen eingeengt fühlte. Vanimen wollte eine Weile den Elementen entfliehen. Er öffnete die Tür der Kapitänskabine.
Eine Lampe pendelte an einer Kette, tropfte, entsandte trübes Licht und trollförmige Schatten und stinkenden Qualm. Wer hatte sie angezündet …? Ein Stöhnen zog seine Aufmerksamkeit auf die Koje. Das Mädchen Raxi und der junge Haiko liebten sich.
Sie zu unterbrechen, wäre schlechtes Benehmen gewesen. Vanimen wartete, stemmte sich gegen das wahnsinnige Schwanken und Stampfen rings um ihn, war frostig belustigt über die Behendigkeit, die der Akt von ihnen erforderte. Am Kopf der Koje hing ein Kruzifix, am Fußende, wo ein Mann es im Liegen
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