Kinder des Wassermanns
das Brustbein, das Herz und den Rük-ken gedrungen. Blut strömte über die Planken.
Tauno durchfuhr es: Ingeborg hatte ihn vor Verrat gewarnt, aber Ranild war zu gerissen für sie. Er mußte sich in geheimen Winkeln des Frachtraums mit jedem Mann einzeln besprochen haben. Im gleichen Augenblick, als die Schwimmer nach der Beute tauchten, gab er das Zeichen, Ingeborg und Niels zu ergreifen. Und zu töten? Nein, das konnte Spuren hinterlassen, aber sie zu binden, zu knebeln, unter Deck zu bringen, bis die Geschwister zurückgekehrt waren.
Eyjans sofortiges Begreifen, Kennins rasche Tat hatten den Plan vereitelt. Die anrückenden Seeleute wurden langsamer und verloren den Überblick. Eyjan und Tauno gewannen soviel Zeit, über Bord zu springen.
Ein paar Piken zischten ihnen nach, ohne zu treffen. Ranild ragte an der Reling auf, schwarz vor dem Abendhimmel. Unter schallendem Gelächter brüllte er: „Vielleicht könnt ihr euch damit von den Haifischen die Heimfahrt erkaufen!“ Und hinunter zu ihnen warf er den Leichnam Kennins.
9
Die Delphine versammelten sich. Nach der Sitte des Seevolks ließen Tauno und Eyjan ihren Bruder bei ihnen. Sie hatten ihm die Augen geschlossen, die Hände gefaltet und das Messer fortgenommen – Stahl, der zu rosten begann –, damit es als etwas, das ihn gekannt hatte, weiter benutzt werde. Jetzt schickte es sich, daß er das letzte Geschenk machte, das er zu vergeben hatte, nicht den Meeraalen, sondern denen, die seine Freunde gewesen waren.
Die Halbblutkinder zogen sich ein Stück zurück, während die langen blaugrauen Gestalten Kennin umkreisten – sehr ruhig, sehr behutsam –, und sie sangen über den abendlichen Ozean hinweg das Abschiedslied, das so endet:
Weit in der Welt mit den Wolken nun wandere,
Das, was einst dein war, wird dich überdauern.
In Gischt und in Glanz sei dein Geist unvergänglich,
Dein Fleisch in Delphinen und Fischen und Vögeln.
Bring der Gebärerin Blut und Gebeine.
Geliebter:
Der Himmel nehme dich.
Die See nehme dich.
Uns wird der Abendwind an dich erinnern.
„Oh, Tauno, Tauno“, weinte Eyjan. „Er war noch so jung!“
Er drückte sie an sich. Die niedrigen Wellen schaukelten sie. „Undurchschaubar sind die Nornen“, sprach Tauno. „Er hat einen guten Abgang gehabt.“
Ein Delphin kam zu ihnen und fragte auf Delphinweise, wie sie ihnen noch helfen könnten. Es hätte keine Schwierigkeit gemacht, das Schiff zurückzuhalten, zum Beispiel durch Zerschmettern des Ruders. Dann konnten sie Rache nehmen.
Tauno sah zu der Kogge hin, die mit gerefften Segeln ruhig am Horizont lag.
„Nein“, erklärte er, „sie haben Geiseln. Aber irgend etwas muß geschehen.“
„Ich schneide Herrn Ranild den Bauch auf“, drohte Eyjan, „und binde das Ende seines Darms an den Mast und jage ihn ringsherum, bis er sich festgewickelt hat.“
„Ich halte ihn so vieler Mühle kaum für wert“, entgegnete Tauno. „Doch gefährlich ist er. Es ist kein Kinderspiel, das Schiff anzugreifen, entweder mit den Delphinen oder indem wir uns von unten von Planke zu Planke vorarbeiten. Andererseits mag es unmöglich sein, es zu entern. Trotzdem müssen wir es versuchen, für Yria, Ingeborg und Niels. Komm, wir müssen essen – unsere Vettern werden uns etwas fangen – und uns ausruhen. Wir haben unsere Kräfte verbraucht.“
Kurz nach Mitternacht erwachte Tauno erquickt. Die Trauer hatte ihn nicht verlassen, aber seine Gedanken kreisten vor allem um Rettung und Rache.
Eyjan schlief noch, eingehüllt in eine Wolke ihres Haars. Seltsam, wie unschuldig, beinahe kindlich ihr Gesicht geworden war mit den leicht geöffneten Lippen und den langen Wimpern auf den Wangenknochen. Um sie schwammen die Wache haltenden Delphine. Tauno küßte sie auf die Einbuchtung, wo die Kehle in die Brust überging, und schwamm leise davon.
Es war eine helle Nacht des nordischen Sommers. Oben glühte der Himmel, und in dem Zwielicht sahen die Sterne klein und schwach aus. Das schimmernde Wasser bewegte sich kaum. Über dem tieferen, kaum spürbaren Zug der Gezeiten glucksten die Wellchen. Die Luft war still, kühl und feucht.
Tauno schwamm zur Herning. Er umkreiste sie so verstohlen wie ein Hai. Niemand schien am Ruder zu stehen, aber auf beiden Seiten des Hauptdecks hielt je ein Mann Wache – die Piken schimmerten –, und ein dritter war im Krähennest. Die Laternen waren nicht angezündet, damit sie ihre Augen nicht blendeten. Das bedeutete, drei waren unten. Sie
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