Kinder
geht«,
begann Annette Pietsch zögernd und sah Lukas und Sarah dann ernst an.
Michael lag oben in seinem Bett, und seine Mutter hatte ihn selbst
mit dem Hinweis, es gehe vor allem um ihn, nicht dazu bewegen können, sich zu
den anderen an den Tisch zu setzen.
»Ist wieder was mit Michael?«, fragte Sarah.
»Es hat mit Michael zu tun, aber es geht eher um …«
Sie sah Hilfe suchend zu ihrem Mann hin.
»Der Arzt«, sagte Rainer Pietsch schließlich, »hat Michael doch
untersucht, nachdem er verprügelt wurde. Das wisst ihr ja.«
Lukas und Sarah nickten.
»Er hat Verletzungen, blaue Flecke und andere Spuren von Gewalt
gefunden, und nicht alle stammen von der Prügelei. Zumindest sagt der Arzt,
dass manche auf jeden Fall schon älter sind – und dass er sich bei ein paar anderen
nicht sicher ist, ob sie nicht vielleicht auch von woanders her sein könnten.«
»Und?«, fragte Lukas. »Michael hatte doch auch mal Ärger mit Tobias
und Marc, da habt ihr ihn doch von der Schule abgeholt, nachdem er sogar die
Treppe runtergefallen ist.«
»Ja, das haben wir den Leuten vom Jugendamt auch gesagt.«
Sarah sah ihren Vater mit großen Augen an.
»Vom Jugendamt? Wieso vom Jugendamt?«
»Die waren hier und haben uns Fragen gestellt. Wollten wissen, was
mit Michael los ist und woher seine älteren Verletzungen stammen könnten.«
Rainer Pietsch versuchte alles möglichst ruhig und sachlich zu
erklären, aber es fiel ihm zunehmend schwer. Seine Stimme drohte zu versagen,
und aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass auch seine Frau die Situation nur
schwer ertrug.
»Wann war das? Ich meine: wann habt ihr mit denen geredet?«, hakte
Sarah nach.
»Erst vor Kurzem, vor ein paar Tagen.«
»Ihr Jungs wart bei Oma«, warf Annette Pietsch ein, »und du, Sarah,
warst bei deiner Freundin.«
Sarah dachte an ihre heimlichen Treffen mit Hendrik und schluckte.
»Ist doch alles geklärt: Die Jugendlichen haben Michael verhauen,
und davor ist er die Treppe runtergefallen«, meinte Lukas, nachdem keiner mehr
weiterreden wollte. »Und warum habt ihr dann so miese Laune?«
»Für die Leute vom Jugendamt ist eben noch nicht alles geklärt.«
Rainer Pietsch lachte freudlos. »Oder eben doch …«
Sarah sah ihre Mutter fragend an, auch Lukas wirkte ratlos.
»Sag’s ihnen halt endlich, Rainer«, drängte Annette Pietsch
schließlich.
»Die meinen …« Er musste noch einmal ansetzen, weil ihm die Stimme
versagte. »… dass ich Michael … also, dass ich ihn … da unten verletzt
habe …«
»Du?«
Sarah war aufgesprungen und sah verwirrt zwischen ihrer Mutter und
ihrem Vater hin und her.
»Aber warum glauben die das?«
Rainer Pietsch sah sie traurig an, seine Augen schimmerten, und er
zuckte mit den Schultern.
»Aber das …« Sarah sah verzweifelt aus. »Sag, dass das nicht
stimmt, Mama!«
Annette Pietsch sah ihren Mann nachdenklich an und schwieg. Bevor
noch jemand etwas sagen konnte, trat Sarah schon ihren Stuhl wütend nach hinten
und rannte die Treppe hinauf. Oben schlug die Tür zu, und Lukas sah noch einmal
zu seinem Vater hin, aber der war offenbar auch völlig fertig mit den Nerven
und sank vornüber, um so, mit dem Kopf auf den verschränkten Armen, weinend
liegen zu bleiben. Langsam stand Lukas auf und verließ mit hängenden Schultern
das Esszimmer.
Annette Pietsch saß noch ein paar Minuten mit am Tisch, dann ging
sie zur Garderobe, nahm sich eine Jacke vom Haken und trat aus dem Haus.
Rektor Wehling wirkte sehr aufgeräumt an diesem Morgen. Er
hatte wie immer an Markttagen am Stand des Biohofladens eingekauft, und nun
schlenderte er zum Café hinüber, wo er sich zum Abschluss einen Latte macchiato
gönnen würde.
Unterwegs wurde er immer wieder aufgehalten, doch so unangenehm das
Thema auch war, das alle ansprachen, die ihm begegneten: Ihm konnte es nur
recht sein, wenn die Geschichte möglichst gründlich in der Stadt durchgekaut
wurde. Die Pietschs würden die Schule wechseln, vielleicht würden sie sogar
wegziehen – und ein großer Unruheherd wäre damit endlich beseitigt.
Als er das Café gerade betreten wollte, sah er an einem kleinen
Tisch im Eck Rosemarie Moeller mit der Frau vom Jugendamt zusammensitzen. Die
beiden unterhielten sich rege, und ab und zu reichte die Lehrerin der anderen
Frau Unterlagen und Notizen.
Nun gut, dachte Wehling und machte kehrt, dann trinke ich meinen
Kaffee eben im Büro. Was er gesehen hatte, minderte seine gute Laune jedenfalls
nicht im
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