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Kinder

Kinder

Titel: Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seibold
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herum.
    »Wieso machst du mit diesem Opfer rum – wo du doch weißt, wie sehr
ich dich mag?«
    »Rico, du tust mir weh!«
    »Und wenn schon!«, zischte er.
    Sarah bekam es mit der Angst zu tun. Drehte Rico jetzt durch?
Andererseits: Wenn er ihr blöd kommen würde, konnte sie sich immer noch
losreißen – sie war schnell, und die paar Meter rüber zu ihrem Haus würde sie
allemal schaffen, bevor er sie ein zweites Mal zu fassen bekäme.
    »Schau, Rico«, begann sie besänftigend auf ihn einzureden, während
sie fieberhaft überlegte, wann der richtige Moment gekommen war, loszurennen.
»Hendrik ist ein guter Freund, wir verstehen uns, haben dieselben Interessen.
Und, ja: Ich glaub, ich hab mich in ihn verliebt.«
    Rico sah sie an, seine Nasenflügel bebten.
    »Und wir beide«, fuhr sie fort, »das passt irgendwie nicht. Du
willst draußen sein, immer unterwegs mit deinen Kumpels, immer cool … Und ich
bin eher langweilig drauf: lernen, fleißig sein, Karriere machen.«
    Sarah musterte ihn, während sie drauflosfabulierte: Kaufte er ihr
ab, was sie da sagte? Trug sie auch nicht zu dick auf? Rico schien
nachzudenken, aber sein Griff um ihren Arm lockerte sich nicht.
    »Ach, Rico, lass uns einfach Freunde sein, was hältst du davon?«
    Sarah konnte sehen, dass er gar nichts davon hielt. Der Junge sah
sie mit einer Mischung aus Trauer und Wut an, seine Kieferknochen mahlten und
hinter seiner Stirn schien es mächtig zu arbeiten.
    »Mensch, Rico, ich hab dir das doch alles schon einmal erklärt.«
    »Dann erklär’s uns doch auch noch mal!«
    Die Stimme erklang nur ein, zwei Handbreit hinter ihr, und sie
spürte fast den Atem des anderen Jungen in ihrem Nacken. Rico ließ ihren Arm
los, und Sarah drehte sich langsam um. Vor ihr standen vier Jungs in Ricos
Alter, vielleicht auch etwas älter, die sie unverhohlen von Kopf bis Fuß
musterten – und die offensichtlich recht verlockend fanden, was sie da sahen.
Sarah sah von einem zum anderen, und dazwischen lugte sie immer wieder hinüber
zum Haus ihrer Familie und zu den umliegenden Gebäuden, ob jemand sie sah, ob
sie jemanden mit Hilferufen schnell genug alarmieren konnte.
    Aber es war niemand auf der Straße, niemand sah zu einem Fenster
heraus, und nicht einmal ein Auto fuhr vorbei. Sarah brach der Schweiß aus,
dann spürte sie Ricos Hände auf ihren Schultern.
    »Komm, Sarah, wir müssen jetzt los«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    Kurz nach halb drei hielt es Rainer Pietsch nicht länger
aus: Er musste sich den Frust des Tages aus dem Leib laufen. Er hatte geputzt
und den Keller aufgeräumt, er hatte Unkraut geharkt und danach noch das
Nötigste eingekauft. Zu Hause war niemand da – oder zumindest war niemand zu
sehen, vielleicht waren die Kinder oben in ihren Zimmern.
    Er war schon lange nicht mehr laufen gegangen, und seine Schuhe
lagen irgendwo im hintersten Kellerschrank, zwischen alten Sandalen und zu
klein gewordenen Kinderschuhen. Er kramte sie hervor, pustete den Staub ab und
nestelte die Schnürsenkel auf.
    Schon während des Zubindens erinnerte er sich wieder an die schönen
Stunden, die er früher regelmäßig draußen verbracht hatte. Damals war er noch
mit dem Wagen dreimal die Woche zum Neckarufer oder in den Wald gefahren und hatte
seine ausgiebigen Runden gedreht. Genau das brauchte er nun wieder, auch wenn
er wusste, dass seine erste Runde heute sicher nicht allzu groß ausfallen
würde.
    Im Kleiderschrank wühlte er nach einer Jogginghose und warmer
Unterwäsche – der Winter war zwar schon überstanden, aber es war immer noch
häufig kühl. Schließlich war er fertig, trippelte zum Versuch ein paar Mal auf
der Stelle, dann steckte er sich den Hausschlüssel in die umgeschnallte
Gürteltasche und lief los.
    Besonders gut und frisch roch die Luft in der Stadt nicht gerade,
aber sein Puls ging hoch, und er schwitzte, und bald verdrängten die
Konzentration auf regelmäßiges Atmen und der Versuch, einen einigermaßen runden
Laufstil zu finden, die Gedanken an die Probleme in der Firma und seine üble
private Situation.
    Die fünf Jungs nahmen Sarah in die Zange und schoben sie
schnell und ohne viel Aufhebens vom Gehweg weg hinter eine Gruppe großer
Büsche, die hier dicht und eng beieinander wuchsen.
    Als das Geäst Sarah und die Jungs vor Blicken von der Straße her
verbarg, zerrte einer der Jungs an ihren Beinen, zwei andere stießen sie heftig
gegen die Schultern, sodass sie nach hinten kippte, und dann zogen alle fünf
sie immer tiefer ins

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