Kinder
zuletzt bis spät in die Nacht mit dem Schreiben und Versenden von
Angeboten beschäftigt gewesen.
Heute war nun der erste verbindliche Auftrag von einem der
potenziellen Neukunden eingetroffen: Maurermeister Pfleiderer feierte in
einigen Wochen Firmenjubiläum, und dazu sollte Annette Pietsch in der kleinen
Lagerhalle des Betriebs ein eher deftiges Buffet zusammenstellen.
Das passte zu Pfleiderer, einem recht netten, aber meistens ruppig
auftretenden Typen, der obendrein noch eine Schwäche für anzügliche Scherze
hatte. Nun machten sich die Pietschs einen Spaß daraus, sich möglichst seltsame
Speisen für diesen Abend auszudenken, von der Kuttel-Blutwurst-Suppe bis zu
gegrillten Schweinsohren an Feuersenf-Tunke, und nach einiger Zeit ließ sich
Sarah von dem albernen Spiel anstecken und blödelte ein bisschen mit.
»Ich habe heute erst zur zweiten Stunde«, sagte Lukas, als
sich die anderen am Morgen beeilten, ihre Schultaschen zu schultern, und
schmierte sich noch ein Brot.
»Wirklich?«, fragte seine Mutter. »Davon hast du mir gestern gar
nichts gesagt.«
Sarah und Michael verabschiedeten sich, Rainer Pietsch war schon
seit zwei Stunden im Büro – in seiner Firma ging es seit Kurzem ziemlich
stressig zu.
»Was fällt denn aus?«
»Religion.«
»Na, zum Glück nicht Deutsch – sonst hättest du gestern umsonst
gelernt, was?«
»Ha ha«, maulte Lukas und nahm einen großen Bissen.
»Na, keinen Humor heute?« Annette Pietsch wollte ihrem Jüngsten
sanft übers Haar streichen, aber der duckte sich schnell weg. »Oh, so schlimm?«
»Lass mich einfach, ich bin noch müde – und diese Streichlerei
nervt.«
»Okay, okay, ich lass dich ja schon. Aber ich muss jetzt los, Sachen
für heute Abend besorgen. Kommst du alleine klar?«
»Ich bin doch kein Baby mehr!«
»Stimmt«, lächelte Annette Pietsch. »So etwas hattest du gerade angedeutet.«
Lukas sah ihr nach, als sie nach draußen zum Van ging, dann legte er
das angebissene Brot weg und lief in den Flur. Er war allein im Haus, und in
der Schule warteten Marius und die anderen auf ihn. Nacheinander zog er die
Schubladen am Telefonschränkchen auf und suchte nach kleineren irgendwo
deponierten Geldmengen.
Sören war an diesem Morgen wieder zur Schule gekommen,
aber er sah elend aus.
»Was hast du denn?«, fragte Sarah, aber er schüttelte nur den Kopf
und machte nicht den Eindruck, als wolle er darüber reden. Enttäuscht setzte
sich Sarah an ihren Platz und traute sich nicht einmal mehr, sich zu Sören umzudrehen – Hendrik hatte schon ihre Frage mit einem breiten Grinsen quittiert.
Die erste Mathestunde verlief ohne Zwischenfälle. Der Stoff hatte es
in sich, aber die meisten Schüler arbeiteten konzentriert mit. Moellers
fordernde Art schien allmählich immer besser anzukommen – und ihnen auch
Vorteile zu bringen.
In der zweiten Stunde fragte Moeller einige Schüler ab, bis auf
Hendrik konnten alle eine gute mündliche Note für sich verbuchen, und Moeller
bedankte sich bei jedem Einzelnen mit einem freundlichen Nicken. Als er schließlich
Sören aufrief, drehten sich alle wie auf Kommando zu dem Jungen in der letzten
Reihe um. Sören schreckte nervös hoch.
»Herr Karrer, können Sie es einrichten?«, fragte Moeller in
spöttischem Ton, und einige kicherten leise.
Sören sah sich um, fast schien ein Flehen in seinem Blick zu liegen.
»Ich wüsste gerne von Ihnen …«, begann Moeller, aber weiter kam er
nicht: Sören schluckte mehrfach, dann wurde er weiß wie eine Wand, schlug sich
die rechte Hand vor den Mund, presste die linke Hand auf die rechte und rannte
zu dem kleinen Waschbecken in der Ecke des Klassenzimmers. Dort erbrach er
sich.
Einige Mädchen riefen »Iiih!«, einige Jungs machten »Bääh!«, Moeller
aber sah Sören nur ganz ruhig zu und wartete, bis sich der Schüler wieder
aufrichtete und sich mit ein paar Papierhandtüchern den Mund abwischte.
»Geht’s wieder?«, fragte er schließlich, aber er machte keine Anstalten,
Sören irgendwie zu helfen. Sören stöhnte, stützte sich mit einer Hand auf dem
Waschbecken ab und atmete schwer.
Moeller ging an eines der Fenster, öffnete es und bedeutete den
Schülern, die an den anderen Fenstern saßen, mit einer knappen Geste, auch die
anderen Fenster aufzureißen. Kalte Luft strömte herein und wirbelte den
säuerlichen Gestank erst noch im Klassenzimmer herum, bevor sich das penetrante
Aroma allmählich verflüchtigte.
»Im Moment sollte ich Sie wohl lieber nicht
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