Kinder
abfragen, Herr Karrer,
oder?«
Franz Moeller schien völlig unbeeindruckt von Sörens Zustand. Der
Junge sah ihn mit fiebrigem Blick an und schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Gut, dann lassen Sie sich doch bitte abholen.« Moeller sah sich in
der Klasse um. »Will ihm vielleicht jemand helfen?«
Sarah machte Anstalten aufzustehen, Moeller quittierte ihre Bewegung
mit einem kurzen, spöttisch wirkenden Grinsen – und Sarah, die sofort an
Hendrik denken musste, blieb sitzen und lehnte sich wieder zurück.
»Niemand?«, fragte Moeller noch einmal in die Runde, und sein
bohrender Blick schüchterte alle ein. Keiner erhob sich, und Moeller sah zu
Sören hin, der noch immer mit elendem Gesichtsausdruck am Waschbecken lehnte:
»Scheint ganz so, Herr Karrer, als hätten Sie nicht mehr viele Freunde hier.«
Sarah hielt es nun doch nicht mehr auf ihrem Platz. Sie stand auf,
aber eine Hand drückte sie wieder auf ihren Stuhl: Hendrik hatte sich ebenfalls
erhoben, um seinen Sitznachbarn nicht noch länger hängenzulassen, und schlurfte
zu Sören hin.
»Ich mach das«, sagte er zu Moeller, der mit seinen hochgezogenen
Augenbrauen erkennen ließ, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn sich niemand
als Begleitung gefunden hätte.
»Komm, Alter«, sagte Hendrik zu Sören, hakte ihn unter, zupfte noch
ein paar Papiertücher aus der Box und führte seinen Klassenkameraden zur Tür.
»Aber beeilen Sie sich bitte, Herr Probst«, sagte Moeller noch zu
Hendrik. »Sie haben schon so Ihre Schwierigkeiten mit dem Stoff, da sollten Sie
nicht mehr Unterricht verpassen als unbedingt nötig.«
Hendrik drehte sich noch einmal um, so gut es eben ging mit Sören im
Arm: »Soll ich ihm denn nicht helfen? Er sollte dringend nach Hause oder, noch
besser, gleich zum Arzt.«
»Da haben Sie recht, lieber Hendrik, wobei er hier nun wirklich …«
Er maß Sören noch einmal mit einem herablassenden Blick. »Na, lassen wir das.
Kommen Sie einfach möglichst schnell wieder zurück.«
Rosemarie Moeller war Sörens Abzug nicht entgangen. Sie
hatte den Schüler während ihrer Freistunde aus dem Schulhaus gehen sehen,
begleitet von einem gleichaltrigen Jungen, der offenbar tröstend auf ihn
einredete. Sören sah ziemlich mitgenommen aus. Sie saß im Lehrerzimmer an ihrem
Fensterplatz und hatte einen guten Blick über einen Großteil des Schulhofs und
die Straße entlang. Deshalb bemerkte sie auch schon frühzeitig die beiden Siebtklässler,
die aus einer Seitenstraße kamen und über die Straße und auf den Schulhof
eilten, wobei sie sich immer wieder nach allen Seiten umsahen. Als der eine der
beiden prüfend zum Lehrerzimmer hinaufschaute, duckte sich Rosemarie Moeller
zur Seite, um von unten nicht gesehen zu werden.
Tobias und Marc jedenfalls waren sich ganz sicher, dass sie bisher
niemand entdeckt hatte, und sie huschten schnell unter dem großen Baum hindurch
zur Schulhauswand hin – hier hatten sie auf jeden Fall Deckung vor Blicken aus
dem Lehrerzimmer.
Sie schoben langsam die Eingangstür auf und schauten kurz in den
Flur: Es war niemand zu sehen. Die beiden Jungs schlüpften ins Gebäude und
spuckten im Vorübergehen ihre Kaugummis in den Abfalleimer an der Wand – für
die nächsten Schulstunden hatten sie sich im Kiosk um die Ecke mit weiteren
Süßigkeiten eingedeckt.
»Wenigstens habt ihr den Eimer getroffen«, sagte eine Stimme von der
Tür her. Tobias und Marc fuhren herum und entdeckten Rosemarie Moeller. So
streng, wie sie die beiden Jungs fixierte, wirkte sie noch größer und hagerer
als ohnehin schon – und Tobias und Marc hatten das Gefühl, vor der Lehrerin
immer weiter zu schrumpfen.
»Wir … ich … äh …«, begann Marc, aber Rosemarie Moeller
brachte ihn mit einer knappen Geste gleich wieder zum Schweigen.
»Habt ihr keinen Unterricht?«
Marc schluckte, seine Hände wurden feucht.
»Doch, wir … wir haben jetzt gerade Geschichte bei Herrn
Zimmermann«, fasste sich Tobias schließlich ein Herz.
»Und was tut ihr dann hier auf dem Flur und davor draußen vor der
Schule?«
Tobias lief knallrot an, hilfesuchend sah er zu Marc, doch der
schaute sehr konzentriert auf seine Schuhe hinunter.
»Na?«
»Herr Zimmermann hat uns rausgelassen«, murmelte Tobias nach einer
kurzen Pause und linste vorsichtig zur Lehrerin hinüber. Ob sie sich damit
zufrieden geben würde?
»Und warum?«
»Mir war schlecht«, sagte Tobias. »Und Marc durfte mich begleiten.«
»Kein Wunder, dass es dir nicht gut geht«, sagte
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