Kinder
unterstrichen.
»Dieser Ronnie«, sagte Rosemarie Moeller nach einer Weile und malte
einen Haken hinter den Namen, »passt eigentlich gar nicht ins Raster.«
»Das war der Junge mit dem Gift im Wasser?«
»Ja, aber der ist weder Außenseiter noch Klassenliebling – eher so
mittendrin, und damit ganz sicher nicht das typische Opfer.«
»Und weiß man inzwischen, wer ihm das Gift ins Wasser getan hat?«
»Nein, aber über zwei Ecken könnte es eine Verbindung geben.« Sie
unterstrich zwei Jungennamen und deutete dann auf den Namen eines dritten.
»Tobias und Marc können Michael nicht leiden, und mit dem ist Ronnie befreundet.«
»Würde Michael denn passen?«
»Jedenfalls habe ich mir Mühe gegeben, ihn passend zu machen, weil
die Klasse eigentlich keine Zielscheibe hergibt.«
»Dann lass uns doch diese 7c im Auge behalten – notfalls helfen wir
ein bisschen nach.«
Am Morgen prüfte Lukas vor dem Badezimmerspiegel, ob ihm
von der gestrigen Schlägerei noch etwas anzusehen war, aber bis auf eine kleine
Schramme an der Schläfe war nichts zu entdecken – und für die hatte er sich
schon eine Erklärung zurechtgelegt.
Michael rüttelte an der verschlossenen Tür. »Bist du da drin,
Sarah?«, rief er.
»Nein, ich bin’s«, sagte Lukas und schloss schnell auf.
»Gott sei Dank, ich dachte schon, Sarah hätte heute früher mit ihrer
Prozedur angefangen. Dann könnte ich auch gleich runter zum Frühstück gehen …«
Michael lachte und schnappte sich seine Zahnbürste. Lukas lachte
halbherzig mit und schob sich aus dem Badezimmer.
Beim Frühstück fragte ihn seine Mutter wie erwartet nach der Schramme
an der Stirn, und wie erhofft gab sie sich mit seiner Erklärung zufrieden, er
sei gestern in der Stadt gestolpert und habe sich dabei gestoßen.
Nach der Geschichtsstunde bat Rosemarie Moeller einen der
Schüler, ihr noch kurz etwas ins Lehrerzimmer tragen zu helfen. Michael half
gern, vielleicht würde sie ihn dann auch wieder so nett behandeln wie vor den
Beschwerden der Eltern.
Rosemarie Moeller lud ihm zwei dicke Bände auf, ging ihm voraus zum
Flur und registrierte aus den Augenwinkeln zufrieden die feindseligen Blicke
von Tobias und Marc.
»Deine Zwei ist wirklich eine Leistung«, sagte sie draußen auf dem
Flur zu ihm, und der Junge bemühte sich, mit ihr Schritt zu halten. »Ich habe
mich ehrlich gefreut, auch wenn ich dir das in der Stunde nicht so zeigen
konnte – du weißt ja: Mein Mann und ich dürfen uns nichts mehr leisten, was man
gegen uns auslegen könnte.«
»Ja, ich weiß«, sagte Michael, »und es tut mir auch wirklich leid
für Sie und Ihren Mann.«
»Das ist nett von dir, aber ich will euch Schülern nichts vorwerfen,
was allein eure Eltern losgetreten haben. Und vielleicht haben sie ja auch
recht und wir haben zu viel von euch verlangt.«
Nachdenklich schüttelte sie den Kopf und ging weiter mit großen
Schritten auf das Lehrerzimmer zu.
»Aber weißt du, Michael, mein Mann und ich glauben an euch. Wir
glauben ganz fest daran, dass ihr mehr aus euch herausholen könnt, als ihr das
bisher getan habt – und dass wir damit nicht ganz falsch liegen, zeigt mir auch
deine Note.«
Michael strahlte, und es wurde ihm ganz warm.
»Lass dich einfach nicht unterkriegen«, sagte sie zu dem Jungen und
blieb vor der Tür zum Lehrerzimmer stehen. »Dafür brauchst du meine persönliche
Ermunterung im Unterricht gar nicht, du wirst sehen. Und auch wenn ich es mir
in der Stunde nicht mehr anmerken lassen darf: Ich weiß deine Leistungen noch
immer zu würdigen.«
Sie sah den Jungen an, lächelte dünn, dann nahm sie ihm die beiden
Bücher aus der Hand und schlüpfte durch die Tür.
Michael blieb noch kurz stehen, dann machte er sich auf den Rückweg
und massierte sich die Druckstellen, die die beiden schweren Bücher auf seinem
Arm hinterlassen hatten.
Frido Hässler sah auf die Uhr: Gleich hatte er in seiner
Funktion als Vertrauenslehrer den ersten von drei Gesprächsterminen mit
besorgten Eltern, und in allen drei Fällen würde es um Rosemarie oder Franz
Moeller und ihren Umgang mit dem jeweiligen Kind gehen. Bisher waren oft die
Kinder selbst zu ihm gekommen, meist Jugendliche aus den oberen Klassen – doch
viele Schüler der Moellers wirkten inzwischen gehemmt, irgendwie eingeschüchtert.
Und auch wenn Hässler nie selbst erlebt hatte, wie die Kollegen ihren
Unterricht gestalteten: Er hatte oft genug von verschiedenen Seiten gehört,
dass da viel Druck, viel Strenge, oft auch
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