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Kinder

Kinder

Titel: Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seibold
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abgesagt. Wenn das bedeutete, dass
sich Rosemarie und Franz Moeller seit dem Gespräch mit Rektor Wehling nun
wirklich im Unterricht zurückhielten, dass sie den Kindern weniger zu schaffen
machten und damit den Eltern weniger Grund zur Klage boten, konnte es Hässler
nur recht sein.
    Aber Rektor Wehling hatte unangenehme Gespräche bisher selten so
wirkungsvoll durchgeführt, wie das diesmal anscheinend der Fall war. Und die
Moellers machten auf ihn eigentlich nicht den Eindruck, als ob man sie mit
einer einfachen Ermahnung von etwas abbringen konnte, von dem sie überzeugt
waren.
    Eine Weile dachte Hässler noch darüber nach, trank seinen Tee und
sah aus dem Fenster. Dann wandte er sich wieder den Unterlagen für die morgigen
Biologiestunden zu. Vor ihm lag ein Stapel Blätter, handgeschriebene Notizen,
alte Prüfungsvordrucke. Obenauf lag der vierfarbig ausgedruckte Steckbrief
eines Raubvogels: Habicht, accipiter gentilis.
    »Ja?«, fragte Karin Knaup-Clement kurz angebunden ins
Telefon. Gerade hatte sie Tabea und sich Nudeln und Soße aufgetan – ihr Mann
war bereits wieder zu einer dienstlichen Abendverabredung aufgebrochen – und
nun wollte sie mit ihrer Tochter in Ruhe essen.
    »Werkmann hier«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Haben Sie einen Moment oder störe ich gerade?«
    »Worum geht es denn?«
    Christine Werkmann stutzte: Ihr Gegenüber klang nicht so freundlich,
wie sie es erwartet hatte – vielleicht störte sie tatsächlich gerade. Aber
egal: Das musste sie jetzt loswerden. Und so erzählte sie von Kevins Erlebnis,
von seinen Wunden und der zerrissenen Jacke und davon, wieviel Mühe es sie
gekostet hatte, ihren Jungen vor zwei Tagen wieder halbwegs zu beruhigen.
    Karin Knaup-Clement hörte sich alles an, dann fragte sie: »Und wie
kann ich Ihnen da helfen?«
    Erst begriff Christine Werkmann nicht ganz, denn sie hatte natürlich
erwartet, dass die Elternsprecherin froh war über jede Munition im Kampf gegen
die Moellers – und nun?
    »Ja, wollen Sie denn nichts unternehmen?«
    »Unternehmen?«
    »Na ja, das passt doch haargenau zum Thema unseres Elterntreffens.
Sie hatten erzählt, dass Rektor Wehling die beiden Lehrer ermahnen wolle – und
nun deutet doch Kevins Erlebnis daraufhin, dass sich gar nichts geändert hat.
Dass es einfach so weitergeht wie bisher. Dagegen müssen wir doch etwas
unternehmen!«
    Karin Knaup-Clement zwinkerte ihrer Tochter kurz zu und rollte mit
den Augen. Tabea grinste und stopfte sich den ersten großen Bissen in den Mund.
    »Hören Sie, Frau Werkmann, wir können jetzt nicht wegen jeder
Kleinigkeit ein neues Fass aufmachen.«
    Die Frau am anderen Ende der Leitung zog zischend die Luft ein, es
klang fast wie das Fauchen einer Katze.
    »Kleinigkeit?«, brachte sie noch hervor, dann nahm ihr die
aufsteigende Wut den Atem.
    »Nehmen Sie das bitte nicht persönlich, aber …«
    »Natürlich nehme ich das persönlich!«
    Christine Werkmann war laut geworden, und Karin Knaup-Clement nahm
kurz den Hörer vom Ohr.
    »Frau Werkmann, wir anderen Eltern haben zuletzt den Eindruck
gewonnen, dass die Situation etwas besser geworden ist.«
    »Besser? Mein Kevin kam gestern blutüberströmt nach Hause.
Blutüberströmt!«
    »Aber die Moellers haben ihn ja nicht verprügelt, sondern einige
Jungs aus der Klasse.«
    Schweigen am anderen Ende.
    »Frau Werkmann?«
    Schweres Atmen.
    »Frau Werkmann, solche Reibereien gibt es nun halt mal. Das sind
Jungs, da sollten Sie jetzt nicht überreagieren.«
    »Nicht überreagieren, ja? Und es geht ja auch nur um meinen Kevin,
richtig?«
    »Also bitte, Frau Werkmann!«
    »Ach, ich weiß schon, was besser geworden ist: die Noten Ihrer
Tochter Tabea, stimmt’s?«
    »Also das wird mir jetzt zu bunt, Frau Werkmann. Beruhigen Sie sich
bitte, und dann können wir gerne noch einmal sachlich über alles reden, ja?«
    In der Leitung herrschte Stille.
    »Frau Werkmann?«
    Christine Werkmann hatte aufgelegt und schleuderte das Mobilteil
wütend in das offene Regal neben der Wohnungstür.
    »Probst.«
    »Hallo, Hanna, ich bin’s, Karin.«
    »Grüß dich. Gibt’s wieder etwas Neues von den Moellers?«
    »Nein, nicht direkt. Ich hatte gerade ein ziemlich blödes Gespräch
mit der Werkmann. Ihr Kevin ist mit Tabea und deinem Heiko in der 6d, du weißt
ja.«
    »Kevin ist der gemobbte Dicke, oder?«
    »Genau der. Er wurde wohl vor zwei, drei Tagen von Klassenkameraden verdroschen,
und die Werkmann schiebt das den Moellers in die Schuhe.«
    »Das

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