Kinder
Kleinlichkeit und Prinzipienreiterei
im Spiel war.
Er hatte in seiner Kindheit auch solche Lehrer gehabt und zumindest
indirekt war seine damalige Wut darüber, dass manche Lehrer ihre Schüler
regelrecht wie kleine Nutztiere zu dressieren versucht hatten, auch dafür verantwortlich,
dass er selbst Lehrer geworden war. Oft waren in dieser Hinsicht diejenigen
Lehrer am schlimmsten gewesen, die in ihrem Fach nicht besonders sattelfest
waren – heute gingen unsichere Kollegen dagegen oft schlicht unter und mussten
mehr oder weniger hilflos dabei zusehen, wie ihnen die Schüler auf der Nase
herumtanzten. Rosemarie und Franz Moeller dagegen waren noch vom alten Schlag,
davon war Hässler überzeugt. Allerdings schwang bei den beiden noch irgendetwas
anderes mit, das er nicht richtig fassen konnte.
In diesem Augenblick schwang die Tür zum Lehrerzimmer auf und
Rosemarie Moeller kam schwer beladen herein. Ohne einen Blick nach links oder
rechts strebte sie zu ihrem Fensterplatz. Hässler beobachtete sie kurz, dann
raffte er seine Notizen, einen Block und einen Stift zusammen und eilte zum
ersten Gesprächstermin.
Rosemarie Moeller sah ihm mit gerunzelter Stirn nach.
Nach der letzten Stunde flitzte Lukas schneller als je
zuvor aus dem Schulgebäude hinaus. Zum einen war Kevin heute früh nicht zum
Unterricht erschienen; Marius und die anderen hatten die Tatsache mit breitem
Grinsen quittiert, dass Lukas heute keinen Begleiter für den Heimweg hatte. Und
zum anderen war heute die Deutscharbeit zurückgegeben worden – und er freute
sich über die seltene Gelegenheit, seinen Eltern eine gute Nachricht zu überbringen.
Als Lukas mit pochendem Herzen an der Haltestelle wartete und immer
wieder aufmerksam in Richtung der Schule zurücksah, kam Michael mit einem
breiten Grinsen auf dem Gesicht auf ihn zu.
»Na, Brüderchen, gut drauf heute?«
»Allerdings«, sagte Michael. »Wir haben heute Geschichte
zurückbekommen.«
»Ach, auch eine gute Note?«
Rainer Pietsch hatte den Eintopf gekocht, den er am besten
konnte, und nun löffelten alle Bohnen, Hackfleisch und Kartoffeln. Die Kinder
halfen ihrem Vater hinterher, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen, und
Annette Pietsch trug ein silbernes Tablett zum Tisch, auf dem einige Pralinen
lagen, an denen sie sich den Nachmittag über versucht hatte.
»Gute Idee«, sagte Rainer Pietsch, »feiern wir die guten Noten
unserer Kinder mit deinen selbstgemachten Pralinen!«
Er lachte, die Stimmung am Esstisch war gelöst – und die guten
Nachrichten aus der Schule waren umso angenehmer, da er sich wegen der Moellers
doch mehr Sorgen gemacht hatte, als er offen zugeben wollte.
Rainer Pietsch hörte zu, wie die anderen von ihrem Tag erzählten.
Seine Frau war nicht allzu gesprächig und beschränkte sich auf ein paar Infos
zu den Pralinen und deren Zutaten. Die Kinder schienen das Gefühl zu genießen,
dass sich die konzentriertere Arbeit für die Schule schon auszuzahlen begann.
Selbst Lukas, der zuletzt immer wieder etwas melancholisch gewirkt hatte und
geradezu wortkarg geworden war, alberte mit den anderen und schien sich sehr
wohl zu fühlen.
Der Vater selbst hielt sich eher bedeckt, aber das fiel den anderen
nicht auf. Er musste erst noch über alles nachdenken, was sich derzeit im Büro
für die nähere Zukunft abzeichnete.
Tabea Clement hatte sich sehr über die unerwartete gute
Deutschnote gefreut, und sie hatte ihre Mutter deswegen noch auf dem Heimweg
vom Handy aus angerufen. Aber über die neue Spielekonsole, die ihr die Mutter
bereits am selben Abend als Belohnung für die gute Note mitbrachte, freute sie
sich noch mehr.
Sie schlang hastig ein Butterbrot hinunter, dann huschte Tabea auch
schon mit der Konsole in ihr Zimmer, schloss sie an den kleinen Fernseher neben
dem Schreibtisch an und startete eines der beiden Spiele, die mit zum Paket
gehört hatten.
Als Martin Clement kurz darauf nach Hause kam, erklärte ihm seine
Frau, was es mit dem Lärm aus Tabeas Zimmer auf sich hatte – und womit sie sich
das Geschenk verdient hatte. Martin Clement fiel ein Stein vom Herzen: ein
Problem weniger. Er dekantierte eine Flasche Bordeaux und schenkte seiner Frau
und sich zwei bauchige Kristallgläser voll.
Frido Hässler klappte das Handy zu und strich den letzten
für heute vereinbarten Gesprächstermin aus seinem Kalender. Seit ein, zwei
Tagen verebbten die Beschwerden über die Moellers auffällig schnell, und immer
wieder wurden bereits verabredete Gespräche
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