Kinder
ist wohl etwas übertrieben, würde ich sagen. Schließlich hast
du ja gerade erzählt, dass Kevin nicht von den Moellers, sondern von
Mitschülern verprügelt wurde.«
»Eben, das habe ich der Werkmann auch gesagt. Aber die war nicht zu
beruhigen.«
»Und jetzt?«
»Na, ich frage mich, was ich da als Elternsprecherin unternehmen
soll? Das ist doch eher eine Sache zwischen Kevins Mutter und den Eltern dieser
anderen Jungs.«
»Sehe ich genauso. Hast du übrigens etwas Neues vom Rektor gehört?«
»Nein, aber die Moellers scheinen sich seit unserem Gespräch mit
Wehling wirklich zurückzuhalten.«
»Dann hat das ja etwas gebracht, freut mich. Heiko kam übrigens mit
einer überraschend guten Note heim, und auch Hendrik scheint sich in einigen
Fächern zu verbessern.«
»Tabea hatte auch eine bessere Note als früher – vielleicht tut
manchen Kindern der autoritäre Stil dieser Moellers doch gut.«
»Und wenn sie sich sonst mit schrägen Aktionen zurückhalten und
keine Kinder mehr vor der Klasse bloßstellen, habe ich fürs Erste nichts mehr
gegen sie einzuwenden.«
»Geht mir nicht anders. Aber diese Werkmann …«
»Ach, die beruhigt sich wieder, glaub mir.«
Annette Pietsch kam an den Tisch zurück. »Frau Werkmann
war dran«, erzählte sie ihrem Mann, der über einen Stapel Papiere aus dem Büro
gebeugt saß. »Klang nicht gut.«
»Was wollte Sie denn?«
»Kevin ist verhauen worden – jedenfalls habe ich das so verstanden.
Ihr Telefon ist wohl nicht mehr ganz in Ordnung, es knackte ständig
zwischendurch.«
»Und da ruft sie bei uns an? Die Knaup-Clement ist doch unsere
Elternsprecherin, nicht?«
»Ja, schon, aber die hat sie am Telefon abgewimmelt und wollte
nichts unternehmen, sagte Frau Werkmann.«
»Komisch. Ich hätte vermutet, dass sie einen solchen Zwischenfall
dankbar aufnimmt, um ihren Feldzug gegen die Moellers fortzusetzen.«
»Frau Werkmann war entsprechend sauer, sie hatte nämlich dasselbe
erwartet wie du.«
»Hm … Kevin, verhauen … Ich dachte, das hätte inzwischen
aufgehört.«
»Ja, dachte ich auch, aber nun haben ihn diese anderen Jungs wohl
wieder im Visier.«
»Und welche Jungs sind das?«
Annette Pietsch sah ihn fragend an, dann wurde ihr klar, warum er
fragte.
»Stimmt ja, die könnten es dann auch auf Lukas abgesehen haben …«
»Eben. Und: Wer ist es?«
»Frau Werkmann hat Kevin danach gefragt, aber er wollte wohl keine
Petze sein. Sie weiß es jedenfalls nicht.«
»Dann fragen wir mal Lukas, vielleicht weiß der es ja.« Rainer
Pietsch sah auf die Uhr. »Aber das müssen wir auf morgen früh verschieben.«
Er las weiter, sie ging im Zimmer auf und ab, bis er wieder aufsah.
»Was ist denn?«
Annette Pietsch blieb stehen.
»Hat es Kevin sehr schlimm erwischt?«
Sie schüttelte den Kopf, sah aber nachdenklich aus.
»Weißt du, Rainer, ich glaube, die haben sich auch Lukas schon
vorgenommen.«
Rainer Pietsch sah fragend drein, seine Frau fuhr sich mit dem
Finger über die Stirn.
»Da hat Lukas eine Schramme, er ist angeblich in der Stadt
gestolpert.«
»Können wir Lukas morgen etwas früher wecken? Ich muss pünktlich ins
Büro, bei uns steppt gerade der Bär – und dann hätten wir trotzdem noch genug
Zeit, mit ihm mal über diese anderen Burschen zu reden.«
Dann dachte er kurz nach.
»Nein, das mach ich allein. Du weißt schon: ein Gespräch von Mann zu
Mann – mir allein erzählt er vielleicht etwas mehr als uns beiden. Ein Versuch
wäre es wert.«
Sören Karrer schreckte mitten in der Nacht hoch. Benommen
sah er sich um, dann ließ er sich schwer atmend wieder in die Kissen fallen.
Inzwischen schlief er mit heruntergelassenen Jalousien und ließ im
abgedunkelten Zimmer die Leselampe brennen. Er schlief schlecht ein, schlief
selten durch und morgens erwachte er wie gerädert.
Zur Schule musste er noch nicht wieder, aber ewig würde er die
Rückkehr in seine Klasse nicht hinausschieben können. Oder vielleicht ja doch:
Er hatte abends, als er noch einmal ins Bad schlich, um etwas Wasser zu
trinken, mitbekommen, dass sich seine Eltern darüber unterhalten hatten, ihn an
einer anderen Schule anzumelden. In der Kreisstadt mit knapp hunderttausend
Einwohnern boten sich drei andere staatliche Gymnasien an – auch Privatschulen
wären finanziell wohl zu schaffen, wie Sörens Mutter in einigen Gesprächen mit
Bekannten erfahren hatte.
Das alles ging ihm wieder und wieder durch den Kopf. Einerseits
wollte er sich nie mehr Franz Moeller oder
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