Kinder
gingen
gemächlich auf Michael zu – Marc würde auf diesem Weg etwa einen halben Meter
an Michael vorbeigehen, Tobias allerdings würde ihm ausweichen müssen.
Michael nahm noch einen Biss von seinem Brot und spülte ihn mit
einem Schluck aus der Wasserflasche hinunter.
Nun hatten ihn die beiden erreicht, aber Tobias machte keine
Anstalten, zur Seite zu treten oder langsamer zu werden. Marc hielt ebenfalls
Kurs, und einen Moment später wurde Michael heftig von Tobias angerempelt, der
geradezu in ihn hineinlief. Michael taumelte einen halben Schritt zurück, fing
sich aber schnell wieder und schimpfte Tobias und Marc hinterher.
Die beiden reagierten nicht und schlenderten einfach weiter. Weiter
hinten sah Michael immer noch Rosemarie Moeller stehen. Sie hatte sich
abgewandt und sah sehr aufmerksam zu der Ulme hinüber.
Frido Hässler kam ins Lehrerzimmer. Rektor Wehling stand
schwatzend mit Hannes Strobel und einem der Referendare an der Kaffeemaschine.
Jörg Zimmermann saß breitbeinig auf seinem Stuhl, lehnte sich schwer nach
hinten und sah sehr entspannt und sehr zufrieden aus.
»Na, Jörg, alles klar?«, fragte Hässler und ließ sich neben dem
Kollegen auf den Stuhl sinken.
»Jo«, brummelte Zimmermann und legte ein breites Lächeln auf.
Es roch nach Shampoo, nach Rasierwasser und wieder einmal nach
Leberwurst mit sauren Gürkchen – immerhin nicht nach Schweiß.
»Das sieht man«, meinte Frido Hässler und packte sein Vesperbrot
aus.
»Ach, unser Job kann so schön sein«, schwärmte Zimmermann, und
Hässler konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Freut mich, das mal von dir zu hören.«
»Ja, jetzt läuft’s halt, weißt du?«
»Auch in der Neunten?«
»Klar, vor allem in der Neunten«, sagte Zimmermann, setzte sich
aufrechter hin und wandte sich dem Kollegen zu. »Der Moeller hat die richtig
zahm gemacht, das kann ich dir sagen. Die hören zu, wenn ich was erzähle. Die
kapieren es, wenn ich was erkläre. Kein Stress mehr mit den Hausaufgaben. Und
wenn ich einen Test schreibe, muss ich mich nicht mehr verrenken, um die Klasse
irgendwie auf einen Durchschnitt oberhalb der Vier zu hieven.«
»Klingt gut«, nickte Hässler. »Klingt aber fast zu gut, um wahr zu
sein.«
»Na, hör mal: Ich denk mir das doch nicht aus! Ich erlebe das
wirklich jeden Tag so, und es wird eher noch besser, als dass der Effekt
nachließe. Ich hab keine Ahnung, wie der Moeller das hinbekommen hat – aber ich
genieße es einfach.«
»Das gönn ich dir natürlich, Jörg.«
»Eben. Ich mir auch.«
Die Tür ging auf, Franz Moeller kam herein. Jörg Zimmermann stand
auf und verwickelte den Kollegen auf halbem Weg zu dessen Platz in ein
angeregtes Gespräch. Wobei: Auf Hässler wirkte das Ganze eher, als würde ein
Jünger dem Meister seine Ergebenheit erweisen wollen.
Kopfschüttelnd ging Hässler zur Kaffeemaschine hin, verfolgt von
Moellers skeptischem Blick.
Rico hatte in seiner üblichen Rolle geglänzt: Magen-Darm
war so etwas wie seine Spezialität. Mit geschickter Atemtechnik hatte er eine
sehr blasse Gesichtsfarbe hinbekommen, und als ihm dann wirklich flau wurde,
glaubte ihm sein Lehrer sofort.
»Muss jemand mit?«, fragte Bodo Schmitz noch, aber Rico schüttelte
nur leicht den Kopf, hielt sich die eine Hand vor den Mund, schnappte sich mit
der anderen den Rucksack und flitzte hinaus.
Schmitz ging gemächlich zur Tür und schloss sie wieder.Er würde Rico
nicht vermissen, so wenig wie an den bemerkenswert häufigen anderen Tagen, an
denen Rico an seinen mysteriösen Übelkeiten litt. Ein leichtes Grinsen huschte
über das Gesicht des Lehrers: Endlich war wieder eine ruhige Unterrichtsstunde
möglich – dafür konnte Rico sich gerne mit seinen Kumpels draußen am
Güterbahnhof treffen. Schmitz hatte sie dort oft genug herumlungern sehen, mit
ihren albern aufgepeppten Mopeds und ihren coolen Sprüchen. Anfangs hatte er
noch das Gespräch gesucht, wenn er sich abends mit einem ausgedehnten
Spaziergang für den nächsten Tag an der Werkrealschule wappnen wollte. Aber
seit einiger Zeit hatte er keine Lust mehr, sich von Jugendlichen blöd anmachen
zu lassen, denen er eigentlich nur helfen wollte.
Franz Moeller dozierte in einem solchen Tempo, dass sich
selbst die besseren Schüler der 9c sehr konzentrieren mussten, um ihm folgen zu
können. Er hantierte mit Formeln und reihte Zahlen und Symbole an der Tafel so
schnell aneinander, dass kaum jemand mit dem Abschreiben nachkam.
Nach der Doppelstunde waren
Weitere Kostenlose Bücher