Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder

Kinder

Titel: Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seibold
Vom Netzwerk:
etwas tiefer in die Taschen. Er
linste kurz nach links und rechts, und ließ sich, als er weder Marius noch
dessen Freunde sehen konnte, in einem Pulk auf den Schulhof treiben.
    Ein Bus fuhr gerade wieder an und scherte in den dichten Verkehr
ein. Immer wieder hielten Wagen am Gehweg, ließen Kinder aussteigen. Einer
hupte dröhnend, als ein Van aus einer Parklücke schoss. Für eine Schrecksekunde
verstummten die plaudernden und kichernden Kinder, aber wenig später wurden die
Gespräche wieder fortgesetzt.
    Auf der anderen Straßenseite sah Lukas, wie sich sein Freund Kevin
einer Gruppe Schüler näherte. Kevin ging zügig auf die Straße zu.
    In dem Moment wurde eine teure Limousine gestartet, der Fahrer sah
sich kurz um, ob die Fahrbahn frei war, dann gab er Gas. Das dumpfe Rumpeln
kurz darauf konnte er erst nicht zuordnen, aber er bremste sofort. Schon
begannen die ersten Kinder panisch zu kreischen.
    Er wurde blass und stieg mit zittrigen Beinen aus dem Wagen.

Mertes schreckte hoch, und zunächst
wusste er gar nicht, was ihn geweckt hatte. Er sah zum Mobilteil seines Telefons
hin, das er seit einigen Tagen abends vor dem Einschlafen auf seinen Nachttisch
legte, aber es war kein Blinken zu sehen, also hatte wohl niemand versucht, ihn
anzurufen. Er sah zum Fenster hinaus: Draußen war es dunkel, nicht einmal der
manchmal nervös zuckende Lichtkegel über der Diskothek draußen im Gewerbegebiet
war zu sehen. Der Bewegungsmelder an der Eingangstür hatte ebenfalls nichts
registriert, die Lampe über dem Hauseingang war aus – also hatte auch niemand an der Tür geklingelt. Er horchte, aber auch von der
Straße war kein lautes Geräusch zu hören, keine entfernte Sirene und kein
davonfahrender Wagen.
    Er rieb sich die Augen, drehte sich zu seinem
    Radiowecker um: 1 Uhr 37. Fast eine halbe Stunde lang versuchte er wieder
einzuschlafen, zwischendurch ging er zur Toilette, trank danach ein Glas
Wasser, aber dann lag er doch wieder mit pochendem Herzen und wirbelnden
Gedanken im Bett und starrte an die Decke.
    Schließlich gab er auf, und keine zwanzig Minuten
später saß er im Auto und fuhr die Strecke, die ihm aus zahlreichen schlaflosen
Nächten der vergangenen Wochen so bekannt war.
    Nach einiger Zeit führten Serpentinen und sich
lang hinziehende sanfte Kurven den Berg hinauf, fahles Mondlicht brach ab und
zu durch die Bäume. Am üblichen Platz ließ er seinen Wagen ausrollen, schloss
ab, zog den Reißverschluss der Jacke zu und stapfte den schmalen Fußweg hinauf.
    Zwischen den dicht stehenden Bäumen war es
dunkel, ab und zu war ein leises Geräusch zu hören, als streife ein Tier
zwischen Blättern hindurch. Aber bald hörte Mertes nur noch seinen eigenen
keuchenden Atem und die schweren Schritte seiner Stiefel auf dem federnden
Untergrund.
    Das letzte Stück des Weges war das engste. Zweige
streiften ihm über das Gesicht, zweimal brachten ihn dornige Ranken fast zum
Stolpern, dann war er da: hinter ihm der dunkle, dichte Wald, vor ihm ein
atemberaubender Blick über die Vulkaneifel, links die mächtige Silhouette des
Internats im Mondlicht.
    Allmählich kam Mertes wieder zu Atem, er stemmte
beide Fäuste in die Hüften und bog sich etwas nach hinten, um den schmerzenden
Rücken zu dehnen. Dann ging er die letzten Schritte, setzte sich auf den
verwitterten Felsblock, der einen guten Meter von der Hangkante entfernt eine
natürliche Bank bildete.
    Mertes setzte sich auf den Stein und sah hinüber
zum Internat. Warum setzten ihm die Ereignisse dort so sehr zu? Noch immer.
Nachdem der Fall längst abgeschlossen war. Hatte es damit zu tun, dass Kinder
und Jugendliche die Opfer gewesen waren? Oder damit, dass die Ermittlungen,
anders als in vielen anderen Fällen, kein eindeutiges, befriedigendes Ende
genommen hatten? War er die ständige Beschäftigung mit Mord und Totschlag, mit
körperlicher und psychischer Gewalt nach all den Jahren einfach leid? Oder
hatte sich das Gefühl der Machtlosigkeit, das er bei den betroffenen Eltern so
deutlich gespürt hatte, inzwischen auf ihn übertragen? Er hatte verstanden,
dass die Eltern über dieser Machtlosigkeit fast verrückt wurden – aber durfte das reichen, ihn selbst aus dem Tritt zu bringen?
    Als das Handy klingelte, war Mertes
eingeschlafen, vom Felsblock auf die Waldwiese gerutscht, den schmerzenden
Rücken krumm gegen den Stein gelehnt. Er musste sich erst räuspern, bevor er
sich melden konnte: Es gab wieder Arbeit, ein Fall von gemeinschaftlichem
Selbstmord

Weitere Kostenlose Bücher