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Kinder

Kinder

Titel: Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seibold
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Vom
Wohnzimmer aus klimperten Folksongs durch die Wohnung, aber er hörte nicht zu.
    Bisher hatte er es einfach nur genossen, dass ihm seine Schüler den
Lehrerjob inzwischen leichter machten – und er wusste, wem er dafür zu danken
hatte. Seit einigen Tagen allerdings schien Franz Moeller geradezu seine Nähe
zu suchen, und das gab ihm dann doch zu denken. Moeller und seine Frau jagten
ihm immer noch einen Heidenrespekt ein, ihre kühle und stets kontrollierte Art
hatte manchmal geradezu etwas Gruseliges. Zu ihm allerdings waren die Moellers
recht freundlich, und es kam ihm auch so vor, als gebe Franz Moeller ihm lieber
Tipps als den anderen Kollegen.
    Gut, Hässler machte nach wie vor keinen Hehl aus seiner Abneigung
den beiden gegenüber, aber Rektor Wehling schien völlig überzeugt von der
Qualität ihrer pädagogischen Arbeit, Strobel hätte gerne näheren Kontakt zu den
beiden – und die meisten Eltern fraßen ihnen wegen der beständig besser
werdenden Schulnoten geradezu aus der Hand.
    Aber mit keinem anderen Lehrer sprach Franz Moeller vertraulicher
als mit Jörg Zimmermann.
    Nun lag vor ihm auf dem Tisch ein Zettel, den ihm Moeller heute
Vormittag in die Hand gedrückt hatte. Es war eine elfenbeinfarbene
Visitenkarte. Vorne stand »Paedaea e. V.« und darunter der Name des
Vorsitzenden, auf der Rückseite war die Internetadresse des Vereins
aufgedruckt, darüber hatte Moeller mit Kugelschreiber eine Telefonnummer
gekritzelt.
    »Rufen Sie da mal an«, hatte Moeller ihm geraten. »Das wird Sie
voranbringen – als Lehrer und als Mensch, glauben Sie mir.«
    Das Klingeln zerriss die Stille, in die der Abend nach
langen Gesprächen doch noch gemündet war.
    »Ich geh schon«, sagte Annette Pietsch.
    Kurz darauf kam sie wieder. Sie war blass geworden und sah ihren
Mann aus schreckgeweiteten Augen an.
    »O Gott, was ist denn jetzt schon wieder?«, fragte er, sprang auf
und hielt sie an den Schultern.
    »Das Krankenhaus war dran«, sagte sie tonlos. »Frau Werkmann …«
    Sarah lag noch wach und hatte das Klingeln gehört. Fast
hoffte sie, dass ihre Mutter gleich die Treppe heraufkommen und ihr das Telefon
geben würde. Aber so spät würde er sich dann wohl doch nicht bei ihr daheim
melden.
    Lächelnd drehte sie sich zur Seite und dachte mit geschlossenen
Augen an Hendrik. Halb glaubte sie noch zu hören, wie die Haustür leise
zugezogen wurde, dann schlief sie ein.
    »Sind Sie verwandt mit Frau Werkmann?«, fragte die
Stationsschwester.
    »Nein, aber Frau Werkmann hatte offenbar irgendwo unsere Nummer für
den Notfall notiert, sonst hätten Sie uns ja vorhin wohl nicht angerufen.«
    »Pietsch?«
    Die Schwester sah noch einmal ihre Notizen durch.
    »Ah ja, hier.«
    Sie stand auf.
    »Kommen Sie bitte mit.«
    Statt in ein Krankenzimmer führte sie die beiden in einen Raum, in
dem ein junger Arzt etwas in den Computer tippte.
    »Das Ehepaar Pietsch«, sagte die Schwester.
    Der Arzt stand auf, kam auf sie zu und begrüßte sie per Handschlag.
Er bat sie zu einem kleinen Tisch mit vier unbequem aussehenden Stühlen, und
sie setzten sich.
    »Sie sind mit Frau Werkmann befreundet?«, fragte er.
    »Ja. Was ist denn mit ihr?«
    »Sie wird es überleben, sie hatte Glück. Oder … na ja: Ich glaube,
dass sie es darauf angelegt hat, Glück zu haben.«
    Annette und Rainer Pietsch sahen ihn fragend an.
    »Man hat sie in der Badewanne gefunden. Sie hat sich die Pulsadern
aufgeschnitten.«
    Annette Pietsch schlug sich die Hand vor den Mund.
    »Sie müssen sich, wie gesagt, keine Sorgen machen – und wie ich den
Bericht der Sanitäter verstanden habe, wollte sie auch nicht wirklich sterben.
Sie muss wohl schon eine Weile in der Wanne gelegen haben, und der Wasserhahn
war die ganze Zeit aufgedreht. Das Wasser lief über den Rand und sickerte durch
den Boden, und irgendwann alarmierte der Nachbar in der Wohnung darunter die
Feuerwehr. Als die dann da waren, bemerkten sie, dass sich Frau Werkmann nur
quer in die Unterarme geschnitten hatte – wenn man wirklich sterben will, setzt
man das Messer der Länge nach an.«
    Er fuhr mit einer Fingerspitze den Verlauf der Pulsader nach.
    »Wer weiß das schon, als medizinischer Laie«, sagte Rainer Pietsch
und sah den Arzt tadelnd an.
    »Es kommt noch etwas hinzu«, sagte der Arzt und lächelte
nachsichtig. »Sie muss sich die Arme erst ziemlich kurz vor dem Eintreffen der
Feuerwehr aufgeschnitten haben – möglicherweise sogar erst, als sie das
Martinshorn vor ihrem Haus

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