Kinder
stand in der Tür, seine Frau
direkt hinter ihm.
»Aber Frau Pietsch, Herr Pietsch«, rief Moeller Ihnen in fast
flehendem Ton hinterher, »denken Sie doch bitte an Ihre Kinder – sie sollen
doch nicht darunter leiden, dass Sie sich in etwas verrannt haben.«
Johannes Wehling sah Franz Moeller fragend an, der zuckte nur mit
den Schultern.
»Kein Kompromiss?«, fragte er schließlich.
»Ach, das kriegen wir schon hin«, sagte Moeller und nickte dem
Rektor aufmunternd zu. »Wir sind hart im Nehmen, meine Frau und ich.«
»Gut«, sagte Wehling, und ihm fiel ein Stein vom Herzen: Hier würde
er in naher Zukunft nichts Unangenehmes anpacken müssen.
Rainer Pietsch dagegen hallten die Worte Franz Moellers noch in den
Ohren. Offenkundig hatte er damit Rektor Wehling vorspielen wollen, wie sehr er
sich um einen Kompromiss mit ihnen bemühte – aber die Warnung, die in Moellers
Ruf versteckt war, hatte er sehr wohl herausgehört.
Der Wind pfiff schneidend kalt durch
die Ritzen. Die Hütte bestand ohnehin nur aus wenig mehr als einigen gegen- und
übereinandergelegten Holz- und Blechplatten, aber nun war auch noch der alte
Bollerofen aus, der sonst im Winter verhinderte, dass der Schlafsack und das
Kopfkissen einfroren. Er saß auf einem Berg trockener Blätter, die sein Bett
bildeten, rieb die Hände aneinander und zog sich dabei noch weitere Laufmaschen
in die fingerlosen Wollhandschuhe. Dabei sah er immer wieder durch den Spalt
vor sich hinaus in den Wald, der dicht verwachsen und zum Glück auch sehr
einsam war.
Seit vier Jahren war das hier sein Versteck,
davor war er immer wieder anderswo untergeschlüpft. Er hatte eine Weile als
Obdachloser in verschiedenen Städten gelebt, aber dann hatte er die ständige
Angst nicht mehr ausgehalten, einer seiner Peiniger könnte plötzlich wieder vor
ihm stehen.
Also hatte er sich von anderen Menschen
zurückgezogen. Mal hatte er ein verwahrlostes Gartengrundstück gefunden, das
vermutlich schon lange von niemandem mehr betreten worden war – den Geräteschuppen zwischen dichten Hecken hatte er aufgebrochen,
dort kam er einige Monate lang unter. Danach richtete er sich in einer alten
Industriebrache einen Verschlag ein – überall in dem
verlassenen Komplex hatte er Holzreste und Putzlappen gesammelt, zwischen denen
er vor Wind und neugierigen Blicken geschützt schlafen konnte. Mal lebte er
eine Zeit lang in einer alten Scheune ganz hinten in einem Tal, zu dem nur eine
schmale, mit Schlaglöchern übersäte Straße führte.
Und jedes Mal war er weitergezogen, wenn er
Gefahr lief entdeckt zu werden.
Ob es außer ihm noch jemand geschafft hatte,
ihnen zu entkommen, wusste er nicht. Er wusste auch nicht, ob sie ihn noch
jagten. Vermutlich nicht mehr, nach all den Jahren mussten sie davon ausgehen,
dass er tot war. Dass er irgendwo erfroren, verhungert oder sonstwie krepiert
war und als namenlose Leiche keine weiteren Spuren hinterlassen hatte. Aber er
konnte sich nicht sicher sein – und so versteckte er
sich weiter, beobachtete aufmerksam seine Umgebung, registrierte argwöhnisch
jede noch so kleine Änderung um ihn herum.
Diesmal konnte er länger bleiben. Die Hütte, die
er sich provisorisch gebaut hatte, lag tief in einem Bannwald und weit entfernt
von jedem Weg. Kein Spaziergänger würde sich hierher verirren und vor den
Förstern, die ab und zu in diesem Gebiet nach dem Rechten sahen, hatte er seine
Bleibe bislang mit einer gründlichen Tarnung durch Zweige, Moos und Steine
verbergen können. Auch sonst war der Platz für ihn günstig gelegen. Das
Waldgebiet, zu dem der Bannwald gehörte, grenzte an einer Seite an eine
Autobahnraststätte, an der anderen an den Umschlagplatz einer Spedition, beides
war zu Fuß an guten Tagen für ihn in zwei, drei Stunden zu erreichen. In den
Abfallkörben des Rastplatzes und mehr noch auf dem Gelände der Spedition war
immer etwas Essbares zu finden.
Doch die guten Tage wurden seltener. Sein Fuß
hatte sich entzündet, nachdem er sich durch die zerfetzten Schuhsohlen hindurch
an einem spitzen Ast verletzt hatte. Nun schmerzte jeder Schritt, und sogar
nachts wurde er gelegentlich von dem Pochen im Bein wach. Heute hatte er es
nicht einmal mehr geschafft, sich Brennstoff zu beschaffen. Rund um seine Hütte
lag alles so anhaltend im Schatten, dass trockenes Holz oder Moos nur etwas
weiter entfernt zu finden war – und dafür fühlte er
sich heute zu schwach. Außerdem spürte er überall am Körper Schmerzen, als sei
nicht nur
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