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Kinderfrei

Kinderfrei

Titel: Kinderfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Huber
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herangezogen werden (Beitragsbemessungsgrenze, Ausschluss von Beamten und Selbstständigen). Außerdem geht die Behauptung, das Funktionieren sozialer Sicherungssysteme hänge in erster Linie von der Anzahl der geborenen Kinder ab, von der falschen Vorstellung aus, die Fortpflanzung sei die eigentliche Quelle unseres wirtschaftlichen Reichtums. Diese Vorstellung entspricht aber nicht den Gegebenheiten einer modernen Volkswirtschaft, in der Wohlstand und Wachstum nicht durch eine hohe Anzahl von Arbeitskräften, sondern vielmehr durch die Akkumulation von Wissen und Kapital generiert werden.
    Erschreckend ist jedoch nicht so sehr die Dummheit, sondern vielmehr die menschenverachtende Betrachtung von Kindern als bloße Wirtschaftsfaktoren. Besonders deutlich wird dies in dem Gedankenspiel, dem sich Hans-Werner Sinn hingibt: »Wenn Kinderlose erhebliche Teile ihres Einkommens sparen müssen, bloß um damit bei ihrer Rente auf den gleichen Stand wie Familien mit Kindern zu kommen, dann erhalten Kinder bei der Lebensplanung wieder das ihnen ökonomisch zustehende Gewicht.« 34
› Hinweis
Und weiter: »Manch ein bislang noch unschlüssiges Paar wird sich unter diesen Umständen vielleicht doch für Kinder entscheiden.« 35
› Hinweis
Diese Sätze muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Vielleicht sollten wir die lieben Kleinen dann gleich statt in die Schule wieder auf die Felder und in die Fabriken schicken, damit sie ihrer Aufgabe, gefälligst für ihre Eltern zu sorgen, auch wirklich nachkommen. Zu nichts anderem wurden sie schließlich auf die Welt gebracht, verdammt noch mal! Das hätte den zusätzlichen Vorteil, dass wir Unsummen für Bildungsausgaben einsparen könnten, und die Wirtschaft würde sich auch freuen: Kinderarbeit ist schließlich so viel billiger! Allerdings müssten wir dann wohl die Grenzen dicht machen, denn wie sich nicht zuletzt im England des 19. Jahrhunderts gezeigt hat, gibt es immer Einwanderer, die verzweifelt genug sind, für noch weniger Geld zu arbeiten, und die würden dann unseren Kindern die Arbeit wegnehmen.
    Doch ernsthaft: Darauf zu hoffen, dass sich ein Paar aus rein wirtschaftlichen Erwägungen für Kinder entscheidet, Kinder also lediglich als ein Mittel zu einem Zweck ansieht, ist an Zynismus nicht zu überbieten. Elternschaft erfordert wie so viele andere Aufgaben eine Neigung und wohl auch ein gewisses Talent. Einen Menschen, der kein Blut sehen kann, durch finanziellen Druck zu zwingen, Unfallchirurg zu werden, würde unweigerlich in die Katastrophe führen, das ist jedem klar. Ein brillanter Mathematiker, der keinen sauberen Ton singen kann und sich nicht sonderlich für Musik interessiert, wäre in einer Sängerlaufbahn weder erfolgreich noch glücklich, ebenso wenig wie ein kreativer, künstlerischer, aber auch leicht chaotischer Geist, der seinen Lebensunterhalt als Buchhalter verdienen müsste. Und wie herzzerreißend fatal ist es erst, wenn Menschen Kinder nicht um der Kinder selbst willen bekommen, nicht, weil ihnen der Umgang mit Kindern Freude bereitet, nicht, weil sie Kinder als eine Bereicherung ihres Lebens verstehen, sondern einzig und allein als eine Art Kapitalanlage für das Alter.
    Es drängt sich geradezu der Verdacht auf, dass Menschen, die solche Vorschläge machen, ihre eigenen Kinder insgeheim verabscheuen und wünschen, sie wären niemals Eltern geworden. Da sich das aber nun einmal nicht ändern – und erst recht nicht zugeben – lässt, sollen wenigsten die anderen, die heimlich beneideten Kinderfreien, dafür bestraft werden, dass sie nicht den gleichen Fehler gemacht haben. Warum sonst sollten sie sich als Märtyrer im Dienste der Gesellschaft gerieren? Da ihnen die Elternschaft anscheinend nicht, wie versprochen, Glück und Erfüllung gebracht hat, müssen sie sich der Illusion hingeben, dass sie sich für die Gesellschaft geopfert haben, denn welchen Sinn sollte das Ganze sonst gehabt haben? Und dafür wollen sie gefälligst entschädigt werden.
    Der Sozialwissenschaftler Thomas Ebert weist in seinem Aufsatz »Beutet der Sozialstaat die Familien aus?« zu Recht darauf hin, dass die Behauptung, die Rentenversicherung begünstige Menschen ohne Kinder auf Kosten von Eltern, auf der Vorstellung beruht, dass Eltern eine Art Eigentum an den Kindern und an deren Ertrag späterer Erwerbstätigkeit haben. 36
› Hinweis
Damit wird jedoch die rechtliche Unabhängigkeit der Kinder geleugnet. Denn so gesehen würden Kinder, selbst wenn sie

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