Kinderfrei
Kinderlosen und Kinderfreien ein, die haben wenigstens keine Lobby.
Auch die Tatsache, dass Eltern bereits durch die Anrechnung von Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten für eine geringere Beitragsbelastung relativ höhere Rentenleistungen erhalten als Kinderlose und Kinderfreie, und dass die Beiträge für Kindererziehungszeiten durch den Bund bezahlt und auch aus den Steuerzahlungen von Kinderlosen und Kinderfreien finanziert werden, vermag die Vertreter dieser »Familienausbeutungstheorie« 28
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nicht zu besänftigen. Dabei ist ihre Argumentation ebenso abwegig wie unverschämt. Erstens wird, wie wir gesehen haben, beileibe nicht aus jedem Kind von heute der Beitragszahler von morgen. Zweitens wird so getan, als sei die niedrige Geburtenrate an den Problemen der Sozialversicherung schuld. Dabei sind es vor allem zwei Faktoren, die zu den leeren Kassen beigetragen haben, und bei allen sollte sich die Politik selbst an die Nase fassen: Geradezu desaströs war zum einen die politische Fehlentscheidung, die deutsche Einheit in erheblichem Ausmaß aus den Sozialkassen zu finanzieren. Mit der Wiedervereinigung wurden rund 18 Millionen ostdeutsche Arbeitnehmer und ihre Angehörigen als Anspruchsberechtigte in die westdeutschen Sozialversicherungssysteme aufgenommen – ohne jemals eingezahlt zu haben, und in vielen Fällen auch, ohne von nun an einzahlen zu können, da sie nach der Wiedervereinigung ihre Arbeitsplätze, die nunmehr als veraltet und unproduktiv galten, verloren. 29
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Anstatt die Ostrenten, wie es geboten gewesen wäre, ausschließlich aus Steuermitteln und einem Lastenausgleich aus hohen Vermögen zu finanzieren 30
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, wurde so den Sicherungssystemen eine ungeheure, kaum zu bewältigende Last aufgebürdet, mit der Folge, dass die Beitragssätze um etwa 3 Prozentpunkte erhöht werden mussten und die Rentenkassen dennoch auf steigende staatliche Zuschüsse angewiesen blieben. 31
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Ebenfalls gravierende Auswirkungen hatte zum anderen der dramatische Anstieg geringfügiger Beschäftigung zulasten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse. Diese prekären Beschäftigungsverhältnisse wurden von der Politik auch noch gefördert, obwohl sie nichts oder nur sehr wenig zur Sozialversicherung beitragen. Mit dem Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, das am 1. April 2003 in Kraft trat, wurde die Geringfügigkeitsgrenze von 325 Euro auf 400 Euro angehoben, die bisherige Begrenzung auf eine bestimmte Wochenarbeitszeit (weniger als 15 Stunden) aufgehoben und die Möglichkeit geschaffen, einen steuer- und beitragsfreien 400-Euro-Job (sogenannten Minijob) neben einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis auszuüben. Ziel dieser Regelung war es, Arbeitslosen ein Hineingleiten in den regulären Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Stattdessen wurde aber ein Anreiz für Unternehmen geschaffen, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze durch Minijobs zu ersetzen, und die Möglichkeit eines steuerfreien Hinzuverdienstes bereitet, der besonders für Gutverdiener oder den Ehegatten eines Gutverdieners interessant ist. Die Anzahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse stieg konsequenterweise von 5,5 Millionen im Jahr 2003 auf 7,1 Millionen im Jahr 2009. Demgegenüber betrug die Zahl regulärer Beschäftigungsverhältnisse 2009 nur 27 Millionen – jeder 5. Arbeitnehmer war in einem Minijob beschäftigt. 32
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In diesem Zusammenhang lohnt es, sich zu vergegenwärtigen, dass ohne die niedrigen Geburtenraten der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland heute nicht 81 Millionen Menschen leben würden, sondern etwa 103 Millionen. Für all diese zusätzlichen Menschen hätten sicher genügend Ausbildungsstellen und Arbeitsplätze bereitgestanden – natürlich sozialversicherungspflichtige, oder etwa nicht?
Glücklicherweise ist die umlagefinanzierte Rentenversicherung jedoch nicht ausschließlich von der Anzahl der Beitragszahler abhängig, sondern hauptsächlich von der politischen Entscheidung darüber, wie der erwirtschaftete Reichtum der Volkswirtschaft verteilt wird. 33
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Hier spielen die Arbeitsmarktpolitik (Höhe der Löhne und Gehälter, Anzahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, Anzahl der Arbeitslosen) und die Höhe der Bezuschussung der Rentenkassen aus Steuermitteln ebenso eine Rolle wie die Frage, welche Vermögen zur Finanzierung der Rentenversicherung
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