Kinderseelen Verstehen
Druck.
→ Bedeutungswert
Das Jaktieren – also die schaukelnden Hin- und Herbewegungen mit dem ganzen Körper – ist ein Ausdruck von Spannungsabbau . Er äußert sich im gleichmäßigen Rhythmus einer sich wiederholenden Verbindungsbewegung zweier Gegensätze (vorne – hinten, hin und her, links und rechts), die noch isoliert voneinander existieren.
Spannungen entstehen wie in diesem Beispiel von Valeska durch ganz bestimmte Überforderungssituationen, die ein Kind in Unruhe versetzen. Sicherlich kommen hier gleich mehrere Faktoren zusammen: die außergewöhnlich frühe, regelmäßige und lang dauernde Trennung von der Mutter, die Streitigkeiten zwischen der Mutter und der Großmutter, die fehlende Aufmerksamkeit der Mutter für Valeska (so war der Nachmittag mit schulischen Anforderungen ausgefüllt und am Abend zog es die Mutter vor, sich entweder mit Freundinnen zu treffen oder Fernsehen zu schauen; wenn beides nicht möglich war, spielte die Mutter eher lustlos mit ihrer Tochter irgendwelche Brettspiele) und das Desinteresse des Vaters an Valeska. Sie war ein unerwünschtes Kind und kam für beide Eltern überraschend und zu einem Zeitpunkt, der für beide nicht günstig war. Doch statt sich dieser Herausforderung aktiv zu stellen, überließen sie die Hauptverantwortung (unausgesprochen) der Großmutter.
→ Praktische Hinweise
Valeska braucht ihre Mutter und ihren Vater viel intensiver, als es in der Vergangenheit der Fall war. Sie muss erleben, dass ihre Eltern für sie da sind, sich über ihre Tochter freuen, Entwicklungsfortschritte bemerken, den Kontakt zum Kindergarten pflegen, mit ihr intensiv spielen, Ausflüge mit ihr unternehmen, den Aufbau von Freundschaften unterstützen. Die Großmutter muss die ständigen Ermahnungen unterlassen und vor allem müssen Valeskas Mutter und die Großmutter die schwelenden Konflikte klären, damit Ruhe in das Mehrgenerationenhaus einziehen kann.
»Immer ist der blöde Tisch im Weg« – Druckerlebnisse machen »blind«
Der fünfjährige Anton scheint auf den ersten Blick ein kleiner Pechvogel zu sein. Wenn er sich zu Hause, im Kindergarten oder auf dem Spielplatz bewegt, läuft er häufig gegen Hindernisse, die ihm im Wege stehen. Er stößt gegen Schrankecken und Stühle, tritt auf herumliegendes Spielzeug oder fällt über die Absperrung des Sandkastens. Die Eltern haben schon vor längerer Zeit mit Anton einen Augenarzt aufgesucht, in der Annahme, er sei besonders kurz- oder stark weitsichtig, doch die Untersuchung brachte kein auffälliges Ergebnis an den Tag. Auch eine neurobiologische Untersuchung blieb ohne Befund. Die Eltern können sich einfach nicht erklären, warum Anton »seine Augen nicht aufmacht« und »richtig« hinschaut, was seinen Weg versperrt. Die Kinder im Kindergarten rufen schon häufig, wenn sich Anton in Bewegung setzt: »Achtung, jetzt kommt Anton. Der knallt bestimmt wieder gegen Tische und Stühle.«
→ Der entscheidende Ausschnitt aus dem biografischen Hintergrund
Anton ist ein sehr lebendiges Kind. Ihm fällt es schwer, sich für wenige Minuten auf einem festen Platz aufzuhalten. Stattdessen läuft er viel herum, schaut anderen Kindern beim Spielen zu, taucht kurz in eigene Spielhandlungen ein, um dann aber wieder seine Tageswanderungen fortzusetzen.
Anton kam einige Wochen vor dem Stichtag zur Welt und die Geburt verlief kompliziert und zog sich über viele Stunden hin. Die Krankenhausärzte vermuteten eine kurze Sauerstoffunterbrechung. Später beobachteten die Eltern eine etwas verzögerte und verlangsamte motorische und sprachliche Entwicklung bei ihrem Sohn. Aus der Angst heraus, Anton könne doch ein Handicap haben, unternahmen sie denkbar viel, damit er seine Schwierigkeiten möglichst schnell überwinden könne. Frühförderung, motopädische Übungsbehandlungen und spätere ergotherapeutische sowie logopädische Maßnahmen bestimmten fortan seinen Tagesablauf. Dabei legten die Eltern sehr hohe Maßstäbe an die kontinuierliche Verbesserung und den Fortschritt von Antons Entwicklung an. Sie korrigierten ihn unaufhörlich, wenn er nicht schnell genug antwortete oder »richtig« sprach, wenn er aus ihrer Sicht unaufmerksam war oder seine Zeit mit »Träumereien« verbrachte.
→ Bedeutungswert
Anton stand und steht unter einer ständigen Anspannung . In seinem Kopf gab es vor allem eine Maxime: »Sei gut, schnell und verhalte dich richtig, damit die Eltern möglichst keinen Grund haben, dich erneut zu maßregeln.«
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