Kinderseelen Verstehen
erzählten, dass sie wegen des »Haarausfalls« bei ihrem Kinderarzt, einer Dermatologin und einer Heilpraktikerin gewesen seien und verschiedene Tinkturen, Cremes und Tabletten ausprobiert hätten. Nichts würde wirklich helfen. Neu war den Eltern allerdings, dass sich Hauke in unbeobachteten Momenten selbst die Haare ausreiße.
→ Der entscheidende Ausschnitt aus dem biografischen Hintergrund
Haukes Eltern sind beide berufstätig und in ihrer Arbeit außergewöhnlich stark eingebunden. Beide verlassen gegen 7.15 Uhr das Haus und kehren erst gegen 19 Uhr heim. Hauke besuchte ab dem ersten Lebensjahr eine privat geleitete Krippe und wechselte mit drei Jahren in eine nahe gelegene Kindertagesstätte, wo er von Anfang an einen Vormittagsplatz in Anspruch nahm. Seit diesem Zeitpunkt gab es im Haus ununterbrochen und jährlich wechselnde Au-pair-Mädchen, die Hauke vom Kindergarten abholten, am Nachmittag betreuten und abends zu Bett brachten. Hauke liebte seine Eltern und fragte immer wieder, warum sie nicht früher von der Arbeit kommen oder am Nachmittag zu Hause sein könnten. An den Wochenenden wollte er frühmorgens zu ihnen ins Bett, wurde aber gebeten, lieber leise in seinem Kinderzimmer zu spielen, weil die Eltern ausschlafen wollten.
Der Kommunikationsstil vonseiten der Eltern war sehr kognitiv strukturiert. Häufig wurden zum Beispiel folgende Formulierungen gebraucht: »Hauke, du musst verstehen, warum das nicht geht.« Oder: »Hauke, jetzt lass dir mal ganz in Ruhe die Sache erklären.« Oder: »Hauke, wenn du älter wirst, kannst du sicherlich verstehen, warum das so geregelt werden muss.« Oder: »Sei vernünftig und akzeptiere das bitte.«
Der Junge musste immer wieder zur Kenntnis nehmen, dass seine geäußerten Wünsche, Bitten, Überlegungen und Hoffnungen ins Leere liefen und völlig unwirksam blieben. Dabei malte er sich täglich in Gedanken aus, wie schön es wäre, wenn die Eltern mit ihm kuscheln, spielen, spazieren gehen, gemeinsam Rad fahren, mit ihm allein – ohne Kindermädchen – in den Urlaub und mit ihm zu den Punktspielen seiner Lieblingshandballmannschaft fahren würden. Doch dies alles blieben nur gedanklich unerfüllte Visionen.
→ Bedeutungswert
Wir alle kennen einige Redensarten, in denen das Symbol der Haare genutzt wird: »Da stehen einem die Haare zu Berge«, »Ein Haar in der Suppe finden«, »Das ist an den Haaren herbeigezogen«, »Sich die Haare raufen«, »Das ist eine haarige Angelegenheit«, »Das ging nur um Haaresbreite gut«, »Jemand hat Haare auf den Zähnen«, »Kein gutes Haar an jemandem/etwas lassen«, »Haarspalterei betreiben«. In der Mythologie vieler Völker bedeuten Haare gedankliche Macht und Kraftbesitzen. Haare gehören zu den ältesten Symbolen und präsentieren unsere Welt der Gedanken .
Wenn sich in unserem Beispiel Hauke seine Haare vom Kopf reißt, dann will er sich seiner Gedanken entledigen, die er glaubt, entweder nicht zu brauchen oder nicht haben zu dürfen, weil sie ihn traurig machen. Dieses Leid will er nicht spüren.
→ Praktische Hinweise
Hauke braucht kontinuierliche, glücklich machende Erlebnisse mit seinen Eltern. Darüber hinaus müssen sie lernen, ihre Sprache freundlicher zu gestalten, einfühlsamer zu sprechen und auf die kognitiven Belehrungen zu verzichten, die mit ihrem Appellwert Hauke stark überfordern. Hauke sucht Beziehungsnähe und bekommt lediglich Informationshinweise – dieser Gegensatz muss aufgehoben werden.
Weitere Anmerkungen zur Ausdrucksform »Umgang mit Haaren«
Kinder, die
sich gerne von anderen (Kindern oder Erwachsenen) die Haare kämmen lassen, wünschen sich, dass diese ihnen ihre Gedanken ordnen. Meist sind es Kinder, die aufgrund ihres fehlenden Selbstwertgefühls und einer fehlenden Handlungssicherheit nicht sicher sind, was richtig und falsch ist oder was sie tun oder unterlassen sollen;
gerne anderen (Kindern oder Erwachsenen) die Haare kämmen, möchten gerne, dass sich diese auf ihre Gedankenwelt einlassen und so denken sollen wie das Kind selbst: »Gib deine Art des Denkens auf und teile mit mir meine Gedanken«;
anderen Menschen an den Haaren ziehen, erleben eine eigene, gedankliche Ohnmacht und versuchen nun mit aller Macht, die andere Person für sich zu gewinnen;
mit ihrem Zeigefinger Kreise in ihre Haare drehen, drehen sich gedanklich im Kreis und finden für ihre Überlegungen keine Lösung;
sich dagegen wehren, dass ihnen die Haare geschnitten werden, erleben unterbewusst, dass
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