Kinderseelen Verstehen
besprechen. Die Besprechungen enden mit Ermahnungen für die kommende Woche.
→ Bedeutungswert
Emma steht sehr stark unter einem Belastungsdruck , möglichst alles immer weitestgehend richtig und perfekt zu machen, damit die Erwachsenen keinen Grund haben, mit ihr zu schimpfen. Gleichzeitig weiß jeder, dass es solch eine perfekte Lebensführung und Alltagsgestaltung auch nicht annähernd geben kann. Nun sucht das Gehirn einen Druckausgleich, um aus der Widersprüchlichkeit von »wollen, aber nicht können« herauszufinden. Das scheint am besten dadurch zu gelingen, indem man »mit dem Finger auf andere zeigt«. Es scheint so etwas wie eine innere Überzeugung zu geben, die folgende Kausalität zugrunde legt: »Wenn der andere etwas falsch macht, dann zeigt er ein Fehlverhalten, und wenn ich mal etwas falsch mache, dann ist es nicht so schlimm, weil der andere schon vorher, also eher, eine Regelüberschreitung gezeigt hat.« Je häufiger daher ein Kind petzt, umso stärker steht es unter einem moralisierenden Druck, der als Belastung erlebt wird und zu starken, inneren Anspannungen führt. Und je häufiger bzw. stärker die Erwachsenen ihre starren, normativ geprägten Reglementierungen in den Alltag von Kindern hineinbringen, umso größer wird ihr innerer Druck aufgebaut – mit der Folge, noch mehr »Denunziationen« zu melden. Hier entsteht ein Teufelskreis, der durch Erwachsene verantwortet wurde und gleichzeitig aufrechterhalten wird.
→ Praktische Hinweise
Auf der einen Seite muss es den Eltern gelingen, dass sie die Entwicklungsbegleitung ihres Kindes etwas offener, freier, entspannter und freundlicher gestalten. Die an sich sehr guten Familienkonferenzen sollten sich beim Wochenrückblick vor allem auf konstruktive, positive Beispiele beziehen. Auf die Ermahnungen am Ende der Familienkonferenz kann völlig verzichtet werden.
Wenn Emma ihre Petzbeschwerden und Petzinformationen äußert, wäre es wichtig, dass die Erwachsenen nicht auf die verpetzte Person eingehen, sondern den Umstand selbst ruhig und sachlich ausführen. Beispiel Aquarium – hier könnte folgende Antwort kommen: »Fische sind tatsächlich schreckhaft. Sie können das Aquarium nicht verlassen und müssen das Klopfen aushalten. Das wäre so, als ob jemand ganz fest gegen deine Kinderzimmertür klopft.« Dann sollte sich die Erzieherin von Emma abwenden und ihre Tätigkeit fortsetzen. Es geht nicht darum, Schiedsrichterin zu sein oder das Petzen selbst positiv zu verstärken. Viel wichtiger ist die folgende Gesetzmäßigkeit: Je weniger Erwartungsdruck auf Emma lastet und je sachinformativer die Erwachsenen auf Emmas Äußerungen reagieren, desto weniger wird in Emma das Entlastungsbedürfnis »Petzen« ausgelöst. Und mit der Zeit wird es überflüssig werden.
»Ich klettere so gerne auf Bäume« – Kinder finden keinen Überblick
Für die fünfjährige Sarah gibt es augenscheinlich nichts Schöneres, Bedeutsameres und Spannenderes, als auf alle räumlichen Erhebungen, die sie sieht und auch erreichen kann, zu klettern. Ob es Steinmauern, Sandberge, Klettergerüste auf dem Spielplatz oder die Brunnenränder in der Innenstadt sind – immer zieht es Sarah zu den Höhen, die sie erklimmen möchte. Daran haben sich die Eltern sowie die ErzieherInnen im Kindergarten schon lange gewöhnt.
Doch in den letzten Monaten wird es den Eltern eher etwas ängstlich ums Herz. So liebt es Sarah neuerdings, besonders gerne auf Garagendächer, Dächer von Gartenhäuschen oder auch auf Bäume zu klettern. Kaum hat sie ihr Ziel erreicht, setzt sie sich in eine Astgabel bzw. auf einen Astansatz oder in die Mitte der Flachdächer und schaut viele Minuten lang in die Umgebung. Gleichzeitig kommentiert sie selbst, was sie alles wahrnimmt. Sie beschreibt dabei sehr genau ihre Umgebung, zeigt auch mit den Händen auf die entsprechenden Objekte und erzählt kleinere Geschichten dazu. Zum Beispiel: »In diesem großen, hohen Haus mit den vielen Fenstern wohnen viele alte Menschen. Die können nicht mehr so gut gehen. Deshalb haben ihre Wohnungen so viele Fenster, damit sie auch viel sehen können. Ab und zu kommt der Fensterputzer. Sie selbst sind zu krank und können das nicht mehr.«
Die Eltern – vor allem die Mutter – sehen Sarahs Höhenausflüge gar nicht gerne und reden immer wieder auf sie ein, solchen Unsinn zu lassen. Doch ihre Tochter lässt sich von den (mütterlichen) Ermahnungen nicht beeinflussen.
→ Der entscheidende Ausschnitt aus dem
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