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Kinderseelen Verstehen

Kinderseelen Verstehen

Titel: Kinderseelen Verstehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armin Krenz
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oder erkunden darf. Ihr muss das eigene Erleben wie ein Gefängnis mit offenen Türen vorkommen, die aber beim Austritt aus ihrer Zelle sofort wieder versperrt werden. Demgegenüber lernen Kinder aber nur durch Erfahrungen und Erlebnisse, die ihnen bedeutsame Erkenntnisse für ihr Leben vermitteln.
    → Bedeutungswert
    Kathleen steht durch den Widerspruch, einerseits »Weltentdeckerin« sein zu wollen (= ein Grundelement der Entwicklung bei allen Kindern) und andererseits ständig ausgebremst zu werden, unter starkem Druck. Sie möchte wachsen – durch handlungsaktive Erlebnisse und ständige Handlungserkundungen –, doch vielfältige Möglichkeiten, die sich im Alltag anbieten, bleiben ihr unzugänglich.
    Blumen stehen symbolisch für Entwicklung und Wachstum und kleine Fluginsekten präsentieren eine gedankliche Freiheit. Schnecken symbolisieren Schutzlosigkeit, Empfindsamkeit und Rückzug. Würde man nun diese Symbolwelten auf Kathleen übertragen und in Kathleens Worten auszudrücken versuchen, so würde das Mädchen wohl Folgendes denken: »Wenn die Blumen wachsen dürfen und ich nicht, dann sollen sie auch nicht weiterleben. Geteiltes Leid ist halbes Leid!« »Wenn die Blumenblüten so schön aussehen und ich ein trauriges Leben mit mir herumtrage, dann kann ich diese Blüten nicht aushalten, weil sie mich immer wieder an mein gegenteiliges Leben erinnern. Deswegen müssen sie weg.« »Wenn die Marienkäfer und Fliegen überallhin können, wohin sie möchten, und ich nicht, dann sollen die das auch nicht mehr können.« »Doch so wie sich die Schnecken in ihr eigenes Haus , das nur ihnen gehört, bei Gefahr zurückziehen können und wo sie in der nächsten Zeit ungestört sein dürfen, so möchte ich auch leben können. Das sind meine Freunde und deswegen pflege ich sie.«
    → Praktische Hinweise
    Es muss den Eltern und ErzieherInnen unbedingt gelingen, Druck aus Kathleens Leben zu nehmen. Die Mutter muss ihre permanenten, regulativen Ermahnungen und Erwartungen beenden und beide Elternteile sollten ihrer Tochter viel mehr Erfahrungen ermöglichen. Warum sollen keine Verkaufspackungen in einem Geschäft angefasst werden oder warum kann nicht auf der Mauer herumgeklettert werden? Die Eltern sollten mit ihrer Tochter an den Nachmittagen und an Wochenenden mit dem Rad fahren oder im Wald herumlaufen, statt in der Wohnung zu hocken! Kathleen könnte einer Bewegungssportart in einem Verein nachgehen und sich richtig auspowern.
    Im Kindergarten muss ebenfalls eine Pädagogik umgesetzt werden, die stärker erfahrungsorientiert geprägt ist. Ein Kindergarten ist kein »Sitzgarten«. Warum baut die Erzieherin mit Kathleen kein Wohnhaus für Schnecken oder gar eine Schneckenstadt? Hier geht es um ein grobmotorisches Werken mit Holz, Nägeln, Sägen ... Erst wenn Kathleen merkt: »Ich kann was!«, spürt sie auch: »Ich bin wer!« Wenn das Mädchen das bemerkt, hat sie immer weniger einen Grund dafür, ihr Leid an andere abzugeben, denn ihr Leid wird mit der Zeit immer kleiner.
    »Dann reiß ich mir die Haare aus« – Kinder stecken in Belastungen fest
    Hauke, acht Jahre alt, ist ein sehr ernst wirkendes Kind. Seine Klassenlehrerin, die von den allermeisten Kindern sehr geliebt wird, gibt sich immer wieder Mühe, mit ihrer freundlichen, aufgeschlossenen und lebendigen Art mit Hauke ins Gespräch zu kommen. Doch der Junge ist sehr wortkarg. Fragen beantwortet er mit Ja oder Nein, ohne irgendwelche Zusatzinformationen zu geben. Von sich aus sucht er kaum das Gespräch mit anderen Kindern und in den Pausen steht er vorwiegend allein auf dem Pausenhof und beobachtet die anderen Kinder beim Spielen und Toben.
    Während einer Pausenaufsicht nimmt die Lehrerin wahr, wie sich Hauke mit beiden Händen durch die Haare fährt und fest an ihnen zieht. Anschließend guckt er auf seine Hände und zählt die Haare, die er sich ausgerissen hat. In diesem Augenblick fällt der Lehrkraft ein, dass sie in den letzten Monaten den Eindruck hatte, Hauke habe sich »irgendwie« verändert, ohne dass sie es näher beschreiben konnte, was es war. Jetzt brachte sie ihre Gedanken mit der aktuellen Beobachtung zusammen: Früher hatte Hauke volles, dunkelbraunes Haar, und nun ist es regelrecht ausgedünnt. Das machte die Veränderung des Jungen aus. Die Lehrkraft nahm diese Beobachtung zum Anlass, mit den Eltern über Haukes Verhalten zu sprechen. Beide Elternteile schienen beim Thema »Haarverlust« nicht sonderlich erstaunt zu sein. Sie

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