Kinderseelen Verstehen
ihnen jemand die Gedanken kürzen will. Meist sind es Kinder in Lebenssituationen, in denen sie von Erwachsenen beherrscht werden;
sich eine andere Haarfarbe wünschen oder ihre Haare färben, wollen damit ihre eigenen Gedanken überdecken, ihr eigentliches Denken nicht preisgeben;
zusammengebundene Haare lösen wollen, fühlen sich infolge einengender Erziehungseinflüsse durch Erwachsene gedanklich gefangen und suchen ihre gedankliche Freiheit;
auf ihren Haaren beißen, haben gedanklich an erlebten Schwierigkeiten oder Problemen zu »knabbern«;
sich weigern, ihre Haare zu waschen/waschen zu lassen, wehren sich unbewusst dagegen, ihre Gedanken zu fühlen. Meist sind es schmerzliche Gedanken, die mit Verlust- oder Ohnmachtsängsten in Verbindung stehen.
Eltern, die
ihre Kinder immer wieder kämmen, spüren die zunehmende Verselbstständigung und Autonomie ihres Kindes und wollen mit dem Kämmen einen verstärkten Einfluss auf die Gedankenwelt des Kindes nach ihren eigenen Ordnungs- und Vorstellungsprinzipien zurückgewinnen;
keinen Wert auf die Frisur oder die Haarpflege ihres Kindes legen, offenbaren ein Desinteresse an deren Gedankenwelt;
darauf achten, dass ihre Kinder die Haare immer ordentlich tragen, wünschen sich von ihrem Kind, im Alltag stets »ordentlich zu denken« und sich entsprechend »ordentlich« zu verhalten.
»Guck mal, das darf der doch gar nicht« – Petzen als Druckentlastung
Emma, sechs Jahre alt, könnte als »Hüterin der Ordnung« bezeichnet werden. Wann immer ihr irgendwo etwas auffällt, was nicht sein darf, wird sie aktiv und berichtet ihren Eltern, der Erzieherin oder ihren Großeltern von ihren Beobachtungen. Gehen beispielsweise die Eltern mit Emma durch die Einkaufsstraßen ihrer Stadt und sie sieht, dass ein Fußgänger Papier auf den Bürgersteig fallen lässt, sagt sie: »Aber Mama, hast du das gesehen? Der Mann da vorne hat einfach das Papier fallen lassen. Das ist doch Müll und der gehört in den Papierkorb.« Sieht sie Scherben auf der Straße, meint Emma: »Da hat jemand eine Flasche auf der Straße kaputt gemacht. Das darf der aber nicht. Da können die Autoreifen platzen.« Bekommt Emma auf dem Spielplatz mit, dass ein Kind ein anderes schupst, läuft sie zu ihrer Mutter und berichtet: »Da hat ein Kind ein anderes Kind richtig doll geschupst. Das Kind ist hingefallen. Bestimmt tut dem das weh. Man soll doch andere Kinder nicht schupsen, oder?« Fällt ihr im Kindergarten auf, dass ein Kind beim Füllen seines Saftglases etwas danebengeschüttet hat, spricht sie das Kind sogleich an: »Das musst du aber wegwischen. Das gibt sonst einen großen Flecken und dann will es wieder niemand gewesen sein.« Hat sie beobachtet, dass ein Kind mit seiner Hand fest gegen die Scheibe des Aquariums schlägt, läuft sie sogleich zur Erzieherin und gibt ihre Beobachtungen weiter: »Nancy, weißt du was? Der ... hat ganz fest gegen die Scheibe von unserem Aquarium geschlagen. Da haben sich die Fische erschreckt. Du hast doch gesagt, wir dürfen das nicht, oder?« Und hat sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass ein Kind einem anderen Kind ein Schimpfwort an den Kopf wirft, ist sie wiederum die Erste bei ihrer Erzieherin und berichtet: »Der ... hat zum ... gesagt, dass er ein fieser Stinker ist. Das ist doch ein Schimpfwort, oder? So was sollen wir aber nicht sagen.« Die pädagogischen Fachkräfte drehen inzwischen innerlich schon die Augen, wenn Emma zu ihnen angelaufen kommt, weil sie damit rechnen, dass wieder einmal gepetzt wird.
→ Der entscheidende Ausschnitt aus dem biografischen Hintergrund
Emma wächst zusammen mit ihren zwei Schwestern (drei und zehn Jahre alt) in einem sehr streng ausgerichteten Elternhaus auf, in dem Ehrlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Regelkonformität eine herausragende Bedeutung besitzen. Beide Elternteile achten darauf, dass »alles seine Ordnung hat«, dass Sauberkeit, Anstand und gutes Benehmen zum Alltag gehören. So wichtig diese Erziehungsmaßstäbe auch sein mögen, so problematisch werden sie in dieser Familie aber eingesetzt, nämlich mit Härte (statt mit Freundlichkeit), Kühle (statt mit Herzenswärme) und vor allem mit Strafen, falls es zu Regelübertretungen kommt (zum Beispiel mit Taschengeldkürzung, einer früheren Bettgehzeit, Reduzierung der Computernutzungszeit usw.). An den Wochenenden wird bei den »Familienkonferenzen« ein Rückblick auf die vergangene Woche vorgenommen, um die angenehmen und auch unangenehmen Situationen zu
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