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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gefaßt. Er hieß Dr. Wülferich, war Referendar bei der Stadtverwaltung, im Augenblick Abteilung Steueramt, stammte aus einer angesehenen Anwaltsfamilie und hatte zweimal zu Bergmann gesagt: »Sagen Sie mal, Herr Bergmann, war das entzückende Mädchen, das Sie abholte, Ihre Tochter? Gratuliere! Das Mädel ist ja bildhübsch!«
    Bergmann nahm dieses Interesse als Beweis einer erwachenden Zuneigung und spielte mit dem Gedanken, dem Schicksal behilflich zu sein und Dr. Wülferich mit Julia irgendwie zusammenzubringen. Der Umgang mit einem Akademiker, so folgerte Bergmann logisch, würde Julia die letzten Gedanken an den ›Heringsfahrer‹ austreiben. Bildung und Kultur sind eben doch stärker.
    Was sich in Wahrheit abspielte, davon sah und hörte Ernst Bergmann nichts, er konnte es nicht einmal ahnen.
    Tagelang warteten Julia und Franz auf die Pressemeldungen, daß vor der Kinderklinik ›Bethlehem‹ ein Kind aufgefunden sei. Ein armes, unbekanntes, erst vier Tage altes, ausgesetztes Kind. Vielleicht sogar ein Bild dazu: Wer kennt diesen Säugling? Wer hat beobachtet, wo ein Säugling plötzlich verschwunden ist?
    Aber nichts geschah. Franz Höllerer traf Julia weinend auf der Bank im Stadtpark – ihrem Treffpunkt – an. Sie war verzweifelt und konnte kaum noch sprechen.
    »Es ist tot«, schluchzte sie. »Ich fühle es. Darum bringen sie auch nichts in der Zeitung. Es ist erfroren. Und ich habe es so warm eingewickelt … Ich habe es getötet, Franz. Ich spüre es. Eine Mutter spürt das, glaube es mir. Es lebt nicht mehr. O Gott! Was soll ich tun?! Ich kann nicht weiterleben unter diesem Druck. Ich geh' zur Polizei und erzähle alles –«
    »Und was dann?« Franz Höllerer trocknete ihr die Tränen vom Gesicht und umarmte sie. »Was hast du dabei gewonnen? Dann ist alles aus. Und zwar endgültig.«
    »Aber ich habe meine Ruhe.«
    »Im Gefängnis sitzt du. Dein ganzes Leben ist ruiniert. Verdammt noch mal, und alles nur, weil dein Vater so ein Tyrann ist. So ein von vorgestern Übriggebliebener! Ihn hätte man aussetzen sollen.«
    »Nenn das Wort nicht mehr!« schrie Julia auf.
    Franz Höllerer wußte nicht mehr weiter. Er saß neben Julia, starrte auf die herbstbunten Bäume und auf das Laub, das der Wind vor sich hertrieb. Wir hätten das alles nicht tun dürfen, dachte er. Aber wir sind in eine Panik gekommen und haben einfach den Kopf verloren. Nun ist nichts mehr rückgängig zu machen. Ob das Kind lebt oder nicht … wir müssen weiterleben, wir müssen einen neuen Weg suchen, wir müssen – wie, das wissen wir noch nicht – den sturen Tyrannen Ernst Bergmann davon überzeugen, daß wir zueinandergehören. Nur das allein kann unser Ziel sein.
    »Ich habe eine Idee«, sagte Höllerer plötzlich.
    »Ja, Franz?«
    »Ruf in der Klinik an.«
    »Ich?« Julia sprang auf. »Aber –«
    »Von einer Telefonzelle aus. Und du sagst: Hier spricht die Mutter des Kindes, das Sie gefunden haben. Wie geht es ihm? Ist es gesund? – Sie werden so überrascht sein, daß sie dir zunächst Auskunft geben. Und dann legst du auf …«
    »Ich … ich kann das nicht, Franz.« Julia lehnte den Kopf an Höllerers Schultern. »Ich werde ohnmächtig, wenn sie sagen: Das Kind ist tot –«
    »Dann rufe ich an. Aber mir werden sie nichts sagen.«
    »Versuch es, Franz –«
    »Versuch du es, Julia. Eine Minute Kraft … dann ist ja alles vorbei. Dann haben wir Klarheit –«
    »Jetzt … jetzt sofort?« stammelte Julia. Sie klammerte sich an Franz fest, als solle sie in einen Fluß geworfen werden.
    »Wir fahren zum Bahnhof. Das ist am unauffälligsten. Komm, Julia … es ist ja auch mein Kind –«
    Julia nickte. Sie hakte sich bei Höllerer unter. So gingen sie aus dem Stadtpark bis zu Höllerers kleinem Auto, stiegen ein und fuhren zum Hauptbahnhof.
    Von einer Zelle im Bahnpostamt riefen sie die Kinderklinik ›Bethlehem‹ an. Es meldete sich die Pfortenschwester, aber diese stellte sofort um, als sie hörte, daß sich jemand nach dem Findelkind erkundigen wollte.
    »Einen Augenblick, ich gebe die Station –«, sagte sie.
    Es knackte dreimal, zitternd hielt Julia den Hörer an das Ohr. Auf der anderen Seite preßte Franz sein Ohr gegen das Bakelitgehäuse. Schwester Angela meldete sich. Sie hatte keine Ahnung … die Pfortenschwester ließ nur durchschellen.
    »Hier Station I«, sagte Schwester Angela. »Bitte?«
    »Es … es handelt sich um das Findelkind bei Ihnen …«, sagte Julia mit schwerer Zunge. »Ich wollte nur fragen …

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