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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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jede Sensation vermeiden.«
    Das war sehr klug gesprochen, vor allem der letzte Teil des Satzes. Die Journalisten grinsten und wußten, was sie schreiben würden. Wie Dr. Wollenreiter vorausgesagt hatte, bekam Philipp Lehmmacher das erste Angebot einer Illustrierten. Exklusivbilder der Vierlinge und der siamesischen Zwillinge. Serienchef Gehmann war selbst gekommen, um diesen Knüller einzukaufen. Beredt schilderte er Vater Lehmmacher die Chance, Millionen in aller Welt bekannt zu werden als der Erzeuger einer lebenden Sensation. Auch auf seinen gärtnerischen Beruf würde sich das auswirken. Vater Lehmmacher zögerte und sah Dr. Wollenreiter an. Der schüttelte den Kopf.
    »Ich überlege es mir«, sagte Lehmmacher schlau. »Vielleicht bieten andere Illustrierte mehr …«
    Nach der Pressekonferenz lud deshalb Redakteur Gehmann den Vierlingsvater Lehmmacher zu einem Essen ein, erzählte Witze, machte Franz Josef Strauß nach und schimpfte über Seebohm. So einigte man sich auf eine Option, und Lehmmacher bekam so viel Vorschuß, daß er sich einen neuen Anzug kaufen konnte und noch drei Babyausstattungen dazu.
    Dr. Wollenreiter stand zu dieser Zeit neben Dr. Julius und Schwester Angela in der Klinikkapelle und war Pate bei der Taufe des Findelkindes.
    »Was muß ich denn alles in diesem Stall machen?« hatte er geschrien, als erst Schwester Angela und dann Dr. Julius zu ihm kamen und ihm sagten: »Sie müssen Pate sein!«
    »Sie haben die Kleine gefunden«, sagte Schwester Angela mit milder Stimme. »Sie haben sie ins Leben getragen.«
    Wollenreiter seufzte und übernahm die Patenschaft.
    »Nennen wir es Maria, Herr Pfarrer«, schlug Schwester Angela vor, als sie vor dem Priester standen. Sie trug das Kleine auf den Armen, es war eingehüllt in ein weißes Moltontuch, und über dem Köpfchen lag ein Taschentuch mit Spitzenkante. »Maria brachte ihr Kind in einem Stall zur Welt, in Bethlehem … Was könnte besser zu der Kleinen passen?«
    »Und als Nachname?«
    »Prof. Karchow hat den Namen Ignotus vorgeschlagen. Zu deutsch: Unbekannt.«
    »Maria Ignotus – ein schöner Name«, sagte Wollenreiter nachdenklich. »Wir sollten dabei bleiben, Herr Pfarrer.«
    Der Priester nickte.
    »… und so taufe ich dich, du Wesen Gottes, das niemand haben wollte und das man wegwarf wie ein Stück Papier, auf den Namen Maria Ignotus. Möge Gott immer an deiner Seite stehen und die Hand über dein Haupt halten. Amen –«
    Schwester Angela weinte, als sie die kleine Maria über das Taufbecken hielt und der Pfarrer sie mit dem Taufwasser benetzte und sie segnete. Selbst dem harten Wollenreiter war es merkwürdig zumute – er biß die Lippen zusammen, nahm das Kind dann in seine Arme und trat ebenfalls zum Taufbecken.
    Die kleine Maria Ignotus weinte leise … dann hustete sie, hohl und heiser, als sei ihr winziger Brustkorb eine große, leere Halle. Wollenreiter runzelte die Stirn. Er sah Schwester Angela an, und diese hob die Schultern.
    »Sie hustet zum erstenmal«, sagte sie leise.
    »Aber wie!« Wollenreiter gab das Kind an Dr. Julius weiter – dann war die Taufe beendet. Ohne Ehrfurcht vor dem geweihten Ort legten sie Maria Ignotus auf den Altar, wickelten sie aus und hörten sie mit den Membranstethoskopen ab. Der Befund war klar. »Eine Sauerei!« rief Dr. Wollenreiter und wickelte Maria Ignotus wieder in die Tücher. »Eine beginnende Pneumonie! Aber ich sage ja immer … morgens ist der Teufel los. Da kommen die Putzgeschwader, reißen die Fenster auf, und ohne Rücksicht auf die Kinder wird gelüftet und gebohnert!« Er nahm das Kind auf, drückte es an sich, und mit sprachlosem Staunen sah Schwester Angela, wie Dr. Wollenreiter sich niederbeugte und der Kleinen einen zärtlichen Kuß auf das im Weinen schiefgezogene Mündchen gab. »Aber das sage ich!« rief Dr. Wollenreiter nach diesem Ausflug in selbst für ihn rätselhafter Zärtlichkeit. »Wenn ich morgen früh auf die Stationen komme und Staubtuchwedler haben die Fenster offen … ich schmeiß sie hinaus! Nicht zur Tür – aus dem Fenster!«
    Er deckte das Taschentuch mit der Spitzenkante (eine Erinnerung Schwester Angelas an ihr Elternhaus) wieder über das Köpfchen Marias, schlug ein Moltontuchende über das Gesicht und ging aus der Kapelle … wie ein Vater, der sein getauftes Kind wegträgt und mit seinem Leib vor allen Unbillen schützen will.
    Dr. Julius und Schwester Angela und auch der Pfarrer sahen ihm verblüfft nach.
    »Verstehen Sie das, Herr

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