Kindersucher - Kriminalroman
gut präsentieren konnte, verschlangen die Journalisten ihn förmlich. Er war eine richtige Berühmtheit geworden. Die Leute auf der Straße baten Freksa um ein Autogramm. Doch Kraus wollte sich dem Star nicht einfach unterordnen. Das war sein Fall.
»Herr Kommissar. Natürlich tue ich meine Pflicht und nehme auch jeden neuen Fall an, den Sie mir zuteilen. Aber ich möchte Sie bitten, mir zusätzlich zu erlauben, diese Sache in Lichtenberg weiterzuverfolgen.«
Einen Moment herrschte Schweigen. Dann verzog Freksa in gespieltem Entsetzen das Gesicht. »Aber nein, Kommissar. Sie dürfen Isidors Protegé auf keinen Fall überfordern.« Freksa tat, als würde er um Kraus’ Leben betteln. »Sie wissen doch, wie empfindsam diese Leute sind ... von all den Jahren des Geldzählens.«
Schallendes, bösartiges Gelächter brandete auf, in das Horthstaler einstimmte.
Kraus hatte Minenfelder überlebt, Maschinengewehrfeuer. Glaubten diese Schwachköpfe wirklich, sie könnten ihn verletzen? Aber dass sie Weiß so obszön in diese Sache hineinzogen, machte ihn so wütend, dass er Freksa am liebsten seinen Stuhl über den Schädel gezogen hätte. Es war nur gut, dass er ein hoch entwickeltes Über-Ich besaß, wie Dr. Freud es genannt hatte.
Bernhard Weiß war nicht nur ihr Vorgesetzter, sondern auch einer der wenigen Leute in Kraus’ Leben, zu denen er wirklich aufblickte. Weiß war Vizepräsident der Berliner Polizei und der erste Jude, der eine so hohe Position im Gesetzesvollzugerreicht hatte, seit die Juden vor tausendachthundert Jahren nach Deutschland gekommen waren. Weiß hatte außerdem das erste moderne Kriminallabor der Nation geschaffen. Und er war der Vorreiter für die Umgestaltung der Berliner Polizei nach der Revolution von 1919 gewesen. Er vertrat den Geist demokratischer Polizeiarbeit. Extremisten aller Schattierungen hassten ihn, weil er glühend unparteiisch in seiner Verteidigung der Republik war. Er war in Berlin allgegenwärtig, schnüffelte persönlich an Tatorten herum, überwachte Demonstrationen und den Schutz von berühmten Würdenträgern. Mit seinen großen, dunklen Augen hinter der runden Metallbrille, die Offenheit und Zuversicht ausstrahlten, war er das Gesicht der modernen Polizei des Volkes geworden. Und zudem Blitzableiter für alle, die das hassten, wofür er stand. Erst kürzlich hatte einer der übelsten, reaktionärsten Demagogen ihn als Symbol dafür bezeichnet, wie »judifiziert« Deutschland unter der Republik geworden war und Weiß wiederholt mit dem verächtlichen jüdischen Namen Isidor gedemütigt.
»Na ja«, Freksa zuckte mit den Schultern, »es ist ja wohl kein Geheimnis, dass ihr euch gegenseitig helft.«
Ganz offenbar las Freksa die hassdurchtränkten Pamphlete dieses Dr. Joseph Goebbels.
Gewiss, Weiß war für Kraus’ Karriere verantwortlich, das stimmte. Aber nicht so, wie Freksa es sich vorstellte. Kraus war bereits vierundzwanzig Jahre alt gewesen und hatte gerade sein zweites Jahr an der Universität von Berlin beendet, als er 1920 die Bekanntschaft des Doktors bei einem Dinner machte, das zu Ehren von jüdischen Kriegsveteranen veranstaltet wurde. Kraus hatte seine Frau bei einem ähnlichen Ereignis ein Jahr zuvor kennengelernt. Weiß hatte kein Wort darüber gesagt, dass er sich der Polizei anschließen sollte. Das war auch nicht nötig. Seit Kraus’ Kindheit, als sein Vater, der ein schwaches Herz gehabt hatte, mit vorgehaltenem Messer ausgeraubt undmit antisemitischen Verunglimpfungen verhöhnt worden war, brannte er darauf, Übeltäter zu jagen und sie der Gerechtigkeit zu überantworten. Er hatte nur noch nie von einem Juden gehört, der das tatsächlich auch tat. Bis er Weiß kennenlernte, der damals bereits Stellvertretender Chef der Kriminalpolizei war. Weiß wusste weder etwas von Kraus’ Bewerbung bei der Polizeiakademie, noch hatte er das Geringste damit zu tun gehabt, dass man Kraus dort annahm. Dafür war wohl eher das Eiserne Kreuz 1. Klasse verantwortlich. Und ganz gewiss hatte Weiß nicht arrangiert, dass Kraus als Jahrgangsbester abschloss.
Kraus begegnete Dr. Weiß erst wieder, als Außenminister Rathenau im Juni 1922 ermordet worden war. Dieses berüchtigte politische Attentat hatte sich im Grunewald ereignet, im Bezirk Wilmersdorf, wo Kraus Kriminalassistent im ersten Jahr war. Er wurde damit betraut, in der Gruppe mit Weiß zusammenzuarbeiten, der aus dem Präsidium am Alex gekommen war, um die Untersuchung persönlich zu leiten. Dieser
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