Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
Vom Netzwerk:
Schmidt knallte das Tablett auf den Nachttisch.
    Bachmanns Brust schwoll an, als er die Zigarre wieder in den Mund steckte, und sein Blick streifte erneut aus dem Fenster. »Ich weiß nicht, was ich Ihnen Ihrer Meinung nach erzählen soll, Herr Kriminalsekretär. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen.«
    »Sie sind aber ...«
    »Tür an Tür aufgewachsen, ja klar. Aber das dürfte Ihnen kaum helfen, sie jetzt zu finden.«
    »Das weiß man nicht. Manchmal ist es nur ein winziges Detail ...«
    Bachmann biss auf die Zigarre. »Außerdem habe ich heute zu tun. Mein Terminkalender ist vollkommen überfüllt. Versuchen Sie es morgen noch mal.«
    »Sie und Axel müssen ziemlich gute Kumpel gewesen sein, stimmt’s?«
    »Kumpel.« Der Blick zuckte vom Fenster zu Kraus. Er wirkte seltsam spöttisch. »Von dem Tag an, als ich laufen lernte, bis zu dem Tag, an dem ich zum Heer ging, war dieser Mistkerl mein bester Freund. Und ich war«, seine Lippen zitterten schwach, »sein Prügelknabe. Sklave und Vertrauter in Personalunion.« Bachmanns Nasenflügel bebten, während er seine Zigarre betastete. »Ich weiß, wozu er fähig ist. Wozu sie alle fähig sind. Am schlimmsten ist die Kleine. Neben ihr wirkten die beiden anderen geradezu niedlich.«
    »Warum fangen Sie nicht ganz von vorne an?« Kraus zückte sein Notizbuch.
    »Nein, danke.« Bachmann schüttelte den Kopf.
    »Alfred.« Kraus hatte das Gefühl, dass er mit der Sprache herausrücken musste. »Sie ermorden kleine Kinder. Viele kleine Kinder.«
    Bachmanns Harnisch knarrte. »Sie meinen ... der Kinderfresser? «
    Kraus nickte unmerklich.
    Bachmann schluckte schwer. »Also dann«, er zuckte mit den Schultern und inhalierte tief. »Ich denke, da gibt es wohl keinen Termin, den ich nicht verschieben könnte, außer vielleicht meinen Einlauf um sechzehn Uhr.«

ZWEIUNDZWANZIG

    Kurz nachdem Bachmann seine Geschichte begonnen hatte, verstand Kraus, warum der Hohepriesterin Helga ohne offensichtlichen Grund so plötzlich der Name von Ilses Heimatstadt eingefallen war. Es war keineswegs zufällig geschehen. Der Auslöser war dieses kleine Kaninchen gewesen, das über den Weg gehoppelt war.
    »Diese Köhlers waren Bilderbuch-Niedersedlitzer.« Der Rauch aus Bachmanns Zigarre stieg wie ein Vorhang vor ihm auf und schien ihn in die Vergangenheit zu versetzen. »Der Vater hatte eine gute Arbeit, und die Mutter war im Kirchenkomitee. Jeden Sonntag gingen sie gemeinsam zum Gottesdienst. Sie boten ein hübsches Bild mit ihren Zwillingen.«
    »Zwillinge?« Kraus und Gunther sahen sich verblüfft an.
    »Wussten Sie das nicht? Jahrelang konnte niemand die beiden auseinanderhalten, Magda und Axel. Sie trug ihr Haar immer besonders kurz und hatte eine tiefe Stimme. Und sie gab sich so burschikos, dass jeder sie mit ihrem Bruder verwechselt hat.«
    Dann musste sie das im Viehhof gewesen sein an jenem Tag, als Mann verkleidet. Kein Wunder, dass er sie mit dem Ochsen verwechselt hatte. Das begriff Kraus jetzt. Mein Gott, er hätte sie fast erwischt. Aber sie hatte sich aus der Sache herausgewunden.
    Schizoide, Willi ... Ihr Sozialverhalten ist reiner Überlebensinstinkt. Animalische Mimikry.
    »Aber der Vater«, Bachmann wand sich in seinem Harnisch, »war wie zwei Menschen in einem Körper. Er hat Axel und mich mit zum Angeln genommen, als wir noch ganz klein waren. Das war mit das Schönste, was ich je erlebt habe. Aber so etwa ab der dritten oder vierten Klasse bin ich schon beim Anblick dieses Mannes davongelaufen. Mein Vater konnte mich verprügeln, und das nicht schlecht. Aber nachdem ich einmal Axels Kehrseite gesehen hatte, habe ich mich nie wieder beschwert. In der Öffentlichkeit war der alte Köhler so bedachtsam und besorgt. Alle liebten ihn. Aber Axel hat mir Geschichten erzählt, bei denen mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper gelaufen ist. Glauben Sie mir, dieser Mann hat Dinge getan, die Eltern niemals tun dürfen.«
    Bachmanns Augen verschleierten sich. »Er hat diese Grube unter der Küche gegraben. Dort hat er sie zur Strafe eingesperrt. Ohne Essen, ohne Wasser und in völliger Finsternis. Zwei Tage, manchmal sogar drei. Als wir dreizehn Jahre alt waren, hat Axel mir erzählt, dass er einmal am Gestank seiner eigenen Scheiße fast gestorben wäre. Und er meinte, wenn er geweint hätte, wäre sein Vater heruntergekommen und hätte ihn an die Wand gekettet, ihm ein Messer an den Hals gehalten und gedroht, ihm bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen.«
    Gunther

Weitere Kostenlose Bücher