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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Beamter ihn zu beruhigen. »Hol tief Luft und atme ruhig weiter. Wir sind gleich da.«
    Kraus befolgte diesen Rat ebenfalls.
    Aber was war mit den Gullys 27–29 passiert, die die alte Brauerei entwässert hatten? Angeblich sollten sie sich irgendwo hier über ihren Schultern befinden und durch das Lösen von ein paar Schrauben leicht zu öffnen sein. Plötzlich schienen Eberhard und Rollmann sich nicht mehr so sicher zu sein. Offenbar hatte die Flut im letzten Oktober nicht nur die Jutesäcke weggespült, sondern auch sämtliche Hinweisschilder. Die Schicht getrockneten Schlammes, die diesen Abschnitt des Zulaufs bedeckte, war immer noch so dick, dass sie sämtliche Hinweise verhüllte, dass es hier überhaupt Gullys gab.
    »Unsere Wartungstrupps haben ganz offenbar geschlafen.« Rollmann ließ den Lichtkegel seiner Taschenlampe gereizt über die Decke gleiten.
    »Bei den vielen Entlassungen«, fuhr Eberhard ihn wütend an, »ist es ein Wunder, dass es überhaupt noch Wartungstrupps gibt!«
    Wir wollen uns jetzt nicht streiten, meine Herren, dachte Kraus und warf einen Blick auf die Uhr. In drei Minuten würde die Verstärkung die Düngemittelfabrik betreten und in die unterirdische Zufahrt hinabsteigen. Es würde sie etwa vier Minuten zu Fuß kosten, das Versteck der Köhlers zu erreichen, und dort würden sie sämtliche Türen eintreten, die sie fanden, und den Bau stürmen. Wenn sie diese Abflussrohre nicht bald entdeckten, würde die zweite Gruppe ihnen zuvorkommen und möglicherweise den ganzen Plan zunichte machen.
    Magda mochte psychotisch sein, aber sie war äußerst gerissen. Sie hatte Kraus bereits einmal überlistet, und zusammen mit ihren Geschwistern war es ihr jahrelang gelungen, die grauenvollsten Verbrechen in der jüngeren Geschichte ungestraft zu begehen. Kraus wollte sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn sie es nur mit den Schutzpolizisten zu tun bekam und nicht mit ihm. Aber Rollmann und Eberhard waren sich plötzlich nicht einmal mehr einig, ob das hier überhaupt Zuflussrohr J war.
    Kraus hätte am liebsten ihre Köpfe zusammengeschlagen.
    Während sie stritten, zwängte er sich entschlossen an ihnen vorbei, atmete langsamer und ließ den Lichtkegel seiner Taschenlampe über seinen Kopf gleiten. Er war während des Krieges ein halbes Dutzend Mal in das Niemandsland zwischen den deutschen und französischen Linien eingedrungen und hatte niemals die Fähigkeiten verloren, die er bei diesen todesmutigen Aufträgen hatte entwickeln müssen; er hatte Stacheldraht durchschneiden und über Felder kriechen müssen, die von Maschinengewehrfeuer zerfurcht und von Minen gespickt waren. Wenn er sich in Gefahr vollkommen konzentrierte, wurde sein Blick beinahe mikroskopisch; er konnte sich auf die winzigsten Objekte fokussieren, und sein Gehirn konnte blitzschnell einordnen, ob sie nützlich oder gefährlich waren. Jetzt glitt er mit seinen Fingerspitzen unaufhörlich über den trockenen Schlamm und hielt an einer unverkennbaren Delle inne ... einer vollkommen geraden Linie. Etliche Zentimeter daneben befand sich die nächste. Ein Gitter, zweifellos.
    Nachdem sie sich zwei Minuten daran zu schaffen gemacht hatte, öffnete es sich. Abfall klatschte in den Zulauf und eine Wolke aus Unrat stieg auf. Als sie sich hindurchgezwängt hatten und sich erhoben, standen sie vollkommen aufgerichtet auf dem Boden einer dunklen, gemauerten Höhle.
    »Das ist es«, flüsterte Eberhard, als hätten sie das Grabmal eines Pharao betreten. Der Strahl seiner Taschenlampe fiel auf einen großen Stapel von Holzfässern, auf denen der Name TANNHÄUSER BIER stand. Überall lagen verrottete Ausrüstungsgegenstände herum: Röhren und Filter. Die stickige Luft schien sich seit einem Jahrhundert nicht mehr verändert zu haben. Eine beinahe unergründliche Düsterkeit lag über allem. Vielleicht gab es nicht einmal eine Verbindung von diesem Ort zum Bau der Köhlers, fürchtete Kraus.
    Da sah er sie.
    Am anderen Ende des Raumes ... Jutesäcke. Ein ganzer Berg davon. Die Kehle schnürte sich ihm zu, als er die Säcke mit der Lampe anleuchtete und auf ihnen die mittlerweile vertraute Aufschrift SCHNITZLER & SOHN sah. Es mussten Dutzende sein. Sie waren fein säuberlich und ordentlich aufgereiht. Wie Grabsteine auf einem Friedhof. Und sie waren prall gefüllt. Kraus trat an einen der Säcke und riss ihn auf, dann ging er zum nächsten und wieder zum nächsten. Ihm drehte sich der Magen um. Jeder Sack war mit sauberen weißen

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