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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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von nackten Nymphen gestützt wurde. Über ihrem Kopf verkündete ein glänzendes Messingschild MISSION DER GÖTTLICHEN STRAHLUNG In dem Haus war es so dunkel wie in der Hölle. Nirgendwo brannte Licht. Wie enttäuschend. Seine Phantasie hatte sich praktisch überschlagen, seitdem Braunschweig diesen Ort beschrieben hatte. Was jetzt?
    Kraus lief die Treppe hinab.
    Rechts und links neben der Eingangstür befanden sich kleine ovale Fenster, deren Vorhänge halb geöffnet waren. Es gab weder einen Anschlag mit Öffnungszeiten noch eine Telefonnummer. Kraus sah sich kurz um, griff dann in die Tasche und zog eine Taschenlampe heraus.
    Durch das Fenster blickte er in ein elegantes Foyer mit exotisch wirkenden Urnen, Kerzenleuchtern und einem Regal mit Kristallen. Es sah aus wie das Vorzimmer eines erfolgreichen Wahrsagers. An einer Wand hing ein großes, gerahmtes Ölgemälde in schimmernden Goldtönen. Jungen und Mädchen, die im Kreis tanzten ... nackt. Darüber stand: LASST UNS IN EINEM ZUSTAND PARADIESISCHER UNSCHULD WIEDERGEBOREN WERDEN. Kraus betrachtete das Bild eine Weile und schaltete dann die Taschenlampe aus. Angesichts der Neigung zum Mystizismus, die in Berlin kursierte, wirkte dies hier eher zahm.
    Resigniert und gereizt wandte er sich ab, um zu gehen.
    Doch dann weckte ein kleines, rotes Licht, das auf der anderen Straßenseite durch den Schnee blinkte, seine Aufmerksamkeit. Er kniff die Augen zusammen und konnte das Schild über dem Schaufenster entziffern: BOUTIQUE GÖTTLICHE STRAHLUNG.
    Seine Stimmung hob sich schlagartig.
    Der Geruch von Weihrauch hätte ihn fast überwältigt, als er das Geschäft betrat. Der kleine Laden quoll förmlich über von Kerzen, Anhängern, Amuletten – es gab alles, wie Kraus rasch feststellte, was man brauchte, um Zaubersprüche zu bewirken. Ein Grammophon hinter dem Tresen spielte einen Tango. Daneben saß eine blasse junge Frau mit einem knochigen Gesicht. Ihr Haar war in einem lächerlichen Rot gefärbt, und sie ignorierte Kraus, während er die Waren betrachtete. Stimulationsspray ... Potenzpulver ... Verliebungsflocken ... Entliebungsflocken ... Rachestaub. Zwei andere Kunden, offenbar ein Ehemann und seine in einen eleganten Fuchspelz gekleidete Gemahlin, waren gerade dabei, hinauszugehen.
    »Wiedersehen, Brigitta. Wir sehen uns bei den Saturnalien.« Sie drängten sich an Kraus vorbei und schlugen draußen die Mantelkrägen hoch. Sobald sie verschwunden waren, klemmte sich die Frau namens Brigitta ein Monokel ins Auge und betrachtete ihn, als wäre er ein merkwürdiger, kleiner Käfer, den der Sturm hineingeweht hatte.
    »Ja?« Sie kniff das Auge hinter dem Glas zusammen.
    Sie trug einen Männeranzug, eine Hose, eine Weste und eine Krawatte und hatte eine so säuerliche Ausstrahlung, dass Kraus sich fragte, ob sie seit ihrer Kindheit schon einmal gelächelt hatte.
    »Darf ich fragen, ob Sie irgendetwas führen, das Frauen dazu bringt, einem Mann zu vertrauen?« Er versuchte die Stimmung ein wenig aufzulockern.
    Es funktionierte nicht.
    »Wir haben Potenzpulver, falls Sie darauf anspielen.« Sie runzelte die Stirn und widmete sich dann mit einem Staubwedel bewaffnet dem Tresen.
    »Das ist nicht nötig. Ich suche eher etwas Beruhigendes. Zum Beispiel ein Schaumbad.« Er lächelte. Sie lächelte nicht. »Sagen Sie, dieses Geschäft hängt nicht zufällig mit diesem hübschen kleinen Tempel gegenüber zusammen?« Er beschloss, mit der Frau nicht herumzuspielen.
    Ihr barscher Gesichtsausdruck schlug fast in Sadismus um.
    »Ich würde es nicht unbedingt einen Tempel nennen, aber, ja.« Sie runzelte die Stirn. »Man könnte sagen, dass wir zusammenhängen. Wir sind sozusagen ein und dasselbe.«
    »Ich war nur neugierig wegen der Mission. Ich bin selbst auf einer Art spiritueller Suche, verstehen Sie, und ...«
    »Was genau wollen Sie wissen, mein Herr?« Ihre Lippen zuckten, während sie ihr Monokel zurechtrückte und dann innehielt, um ihn zu betrachten.
    Kraus begriff, dass er hier wohl den Zahnarzt spielen und einige Zähne, sprich Informationen, mühsam ziehen musste.
    »Wann zum Beispiel ist sie geöffnet?«
    »Und warum wollen Sie das wissen?«
    »Ich bin neugierig und möchte mehr darüber erfahren.«
    »Und worüber genau?«
    »Nun, zum Beispiel über ... die Philosophie, die dahintersteckt. Was genau ist göttliche Strahlung?«
    »Ach so.« Die Frau verdrehte die Augen, als wäre allein die Vorstellung, diese Idee mitzuteilen, bereits zu aufreibend. Aber offenbar

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