Kindersucher
sich an nichts erinnern, was er auf der Pressekonferenz im Viehhof gesagt hatte.
»Einer von uns muss betrunken gewesen sein, Herr Kriminalsekretär.« Er starrte in sein Mikroskop und weigerte sich, Kraus auch nur anzusehen.
Ganz offenbar hatte ihm jemand den Mund verboten, das war Kraus klar. Er konnte es dem Mann nicht verübeln. Niemand ruinierte freiwillig seine Karriere.
Aber es machte ihn wütend.
»Sie haben mir gesagt, ich sollte Riegler wegen des Hundefleisches in der Wurst befragen, Heilbutt. Ich versichere Ihnen, sobald ich sie sehe, werde ich genau das tun.«
Heilbutt warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. »Ich kann es kaum erwarten, die Antwort der Frau Doktor zu erfahren, Herr Sekretär.«
In den letzten Tagen der zwanziger Jahre konnte man den Wahnsinn quasi in der Luft spüren.
Schon im Morgengrauen explodierten die ersten Knallkörper. Es wurden sogar Feuerwerkskörper in der Straßenbahn im morgendlichen Berufsverkehr gezündet. Als Kraus den Alexanderplatz erreichte, hatte er das Gefühl, als müsste sein Hirn gleich in die Luft gehen. Und dann stürzte sich natürlich ausgerechnet Braunschweig unter der Markise des Restaurants Aschinger auf ihn.
»Kraus!« Er packte Kraus am Kragen. »Gott muss Sie mir geschickt haben.« Die grauen Brauen des Pfarrers verschwanden fast in seinem Haaransatz. »Sind Sie der Sache mit Helga nachgegangen?« Als er erfuhr, dass Kraus der Bleibtreustraße einen Besuch abgestattet hatte, weigerte er sich, ihn gehen zu lassen. »Dann ist das eine Fügung des Schicksals! Kommen Sie, wir reden bei einem Tässchen weiter.«
»Tässchen« bedeutete natürlich ein »Gläschen« Schnaps in einer Kneipe um die Ecke.
»Ach, diese Lesbe!«, höhnte Braunschweig, als Kraus ihm seine Begegnung mit Brigitta schilderte. »Helga hätte kaum tiefer sinken können, seit Satan sie geholt hat.« Der Geistliche leerte sein Glas mit einem kurzen Zucken des Handgelenks. »Ich nehme nicht an, dass Sie diesen Louis gefunden haben, der diese ganze perverse Operation finanziert?«
»Den Louis?« Kraus hatte einen Kaffee bestellt.
»Irgend so einen reichen Bonzen.« Der Pfarrer wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Wer, glauben Sie denn, hat ihr dieses Haus zur Verfügung gestellt? Glauben Sie etwa, dass sie es damit verdient hat, ein Tamburin zu schlagen?« Er starrte Kraus verbittert an und wartete, bis die ganze Tragödie seiner Anspielung deutlich wurde. »Ich weiß nichts Genaueres über diese Schlange. Sie war immer raffiniert genug, alles vor mir geheim zu halten.«
Offenbar auch vor Brigitta, dachte Kraus.
»Ich nehme nicht an, dass diese Lesbe ihre Vorgängerin erwähnt hat, dieses andere verrückte rothaarige Miststück? Kellner, noch einen Schnaps! Die Hirtin oder wie immer man sie dort nennt. Sie hat ihnen Ziegen und Gott weiß was noch für ihre Rituale gebracht. Genau, Kraus, sie opfern Tiere. Und ich rede nicht nur von einem oder zwei. Nach allem, was ich höre, ist das da drüben ein richtiges Schlachthaus.«
Braunschweig war mittlerweile bei seinem dritten »Tässchen Kaffee«, als er endlich zu den Saturnalien kam, von denen dieses Paar damals an dem Abend in der Boutique gesprochen hatte.
»Natürlich weiß ich das alles nur aus zweiter Hand.« Der Priester warf einen Blick über die Schulter. »Aber im Grunde ist es eine römische Orgie, gemischt mit«, seine Stimme sank zu einem kaum verständlichen Flüstern herab, »den grauenhaftesten satanischen Ritualen. O ja. Ihr Wein besteht aus Urin, der mit Halluzinogenen gewürzt ist. Und ihre Oblaten sind ... Fäkalien, Menstruationsblut und Sperma. Das ist ihre Eucharistie. Statt der Heiligen Kommunion küssen sie Luzifers Arsch.«
Kraus wich zurück und gab sich Mühe, angemessen schockiert auszusehen. Er wusste wirklich nicht, wer verrückter war: Braunschweig oder Brigitta.
»Aber machen Sie sich keine Sorgen, ich finde einen Weg, Sie dort einzuschmuggeln.« Der Pfarrer nickte mit einem bösartigen Grinsen. »Wenn es Ihnen ernst ist, Kraus.«
Es war neun Uhr früh, und der Mann war bereits vollkommen betrunken. Er gab nur noch Schwachsinn von sich. Aber Kraus wusste, dass man in diesem Spiel mit den Karten spielen musste, die man bekam.
»Oh, es ist mir ernst. Schmuggeln Sie mich hinein.«
Wenige Minuten später fuhr er mit dem wackligen Aufzug des Polizeipräsidiums hinauf und hörte Gerüchte, bei denen ihm die Haare zu Berge standen. Knochen in einem Stadtpark. Irgendwo in Lichtenberg. Seine
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