Kindersucher
traurig!
Vicki stand in der Küche und richtete Salat an.
»Dem Himmel sei Dank.« Ihre Augen funkelten, als sie ihn sah. »Ich hatte schon Angst, du wärst weggespült worden.«
Sie schüttelte ihren Pony zurück und hob ihr Gesicht, als sie auf seinen Kuss wartete.
Er trat jedoch hinter sie und küsste sie auf den Hals.
»Papa beißt Mama!«, schrie Stefan aus dem Flur.
»Weil ich Nosferatu bin.« Kraus krümmte seine Finger zu Klauen und machte sich auf die Jagd nach ihm. Erich spielte mit, und die drei kämpften kreischend, bis Vicki dem Tumult energisch Einhalt gebot.
Als die Kinder im Bett waren und Vicki und er Furtwängler hörten, der Brahms siebte Symphonie dirigierte, ertappte sie ihn dabei, wie er ins Leere starrte.
»Käthe hat wegen des Passahfestes nachgefragt«, sagte sie leise, als wollte sie niemanden stören. »Ich habe gesagt, ich müsste vorher ... Willi?«
»Was? Du musst mich nicht fragen, Vic. Natürlich können sie kommen.«
»Ich meine etwas anderes ... Was ist los? Ist es wieder dieser schreckliche Freksa?«
Schon, aber nicht so, wie sie dachte.
Kraus hatte Freksa nicht davon abhalten können, heute Nacht zum Centralviehhof zu gehen. Und je mehr er jetzt darüber nachdachte, desto weniger gefiel es ihm. Der Kerl war nicht ganz bei Trost. Was konnte es schaden, wenn er ein bisschen Verstärkung bekam? Nur, was sollte er Vicki sagen? Sollte er ihr ins Gesicht lügen? Er nahm eine Zeitung in die Hand und versuchte zu lesen, aber die Worte bekamen keine Bedeutung in seinem Kopf.
»Liebling.« Er warf die Zeitung beiseite und kam zu dem Schluss, dass eine Halbwahrheit besser ist als gar keine. »Ich mache mir wirklich Sorgen um einen Kollegen. Ich weiß, du hasst es, wenn ich nachts weggehe ...«
»Ach, Willi.«
»Manchmal versetze ich mich an deine Stelle und denke, mein Gott, wenn ihr jemals etwas passiert ...«
Aber die Vorstellung, dass Freksa dort alleine war, beunruhigte ihn noch mehr.
Es herrschte Friedhofsruhe. In wenigen Stunden würden Scharen von Arbeitern in den Viehhof strömen, um sich auf einen geschäftigen Tag vorzubereiten. Jetzt jedoch hörte man nur das Klappern einsamer Pferdefuhrwerke, die Müll transportierten. Kraus fuhr an den verlassenen Verwaltungsgebäuden und riesigen, glasüberdachten Markthallen vorbei, die gerade gereinigt wurden, was er selbst von draußen hören konnte. Sogar in den ausgedehnten Pferchen voller Rinder, Schafe und Schweine herrschte Ruhe. Alle waren in ihren letzten Schlaf versunken.
Der Sturm hatte sich gelegt. Wenn die Wolken aufrissen, lugte der Mond hindurch. Als er den Tunnel verließ und in der Zeile mit den Schlachthäusern herauskam, lagen die langgestreckten Gebäude und Schornsteine unter einer silbernen Decke. Es war fast dreiundzwanzig Uhr. Warum sollte ein Informant sich an einem solchen Ort treffen wollen?, fragte sich Kraus unaufhörlich. Ihm fiel einfach keine beruhigende Antwort ein.
Vor Schlachthaus fünf parkte er den Opel im Schatten und stellte den Motor ab. Seine Erfahrungen hinter den feindlichen Linien hatten Tarnen und Täuschen zu seiner zweiten Natur gemacht. Den Rest des Weges legte er zu Fuß zurück, ohne dass auch nur der Kies unter seinen Füßen geknirscht hätte. Es war feucht und kalt. Aber der Sturm hatte den üblichen Gestank weggeweht, und im Augenblick roch es beinahe angenehm. Als er Schlachthaus sieben sah, blieb er stehen. Ein einsamer Horch parkte vor der Tür, und die Eingangstür des Gebäudes war nur angelehnt. Er schlich dorthin und warf einen Blick hinein. In dem Schlachthaus war es so dunkel wie in der Hölle. Und absolut still. Er schob sich hinein.
Er atmete ganz flach, blieb einen Moment stehen und wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Der Gestank von Ammoniak stieg ihm in die Nase. Es musste hier drin fast zwanzig Grad kälter sein als draußen, weil dieses zweistöckige Gebäude mit seinen Steinböden so entworfen war, dass die Temperaturen niedrig blieben. Er erinnerte sich, dass Gruber ihm so etwas erzählt hatte. Aus hygienischen Gründen.
Die Wolken rissen auf; Mondlicht schien durch die von Schmutz starrenden Oberlichter und beleuchtete das Innere des Schlachthauses. Es wirkte wie eine jener bräunlichen Sepia-Fotografien aus der Kaiserzeit. Der Raum war riesig. Mehrere Blocks lang. Und er war durch halbhohe Mauern in Bereiche für die verschiedenen Tierarten unterteilt. Einige dieser Sektionen waren von Firmen gemietet, deren Namen auf
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