Kindersucher
aussahen. Es gab Riesenräder. Wasserrutschen, Achterbahnen und kleine Schaubuden. Es hätte kaum einen stärkeren Kontrast zu der Welt geben können, aus der sie gerade kamen.
Es war ein schrecklicher Sommer. Und er war erst zur Hälfte verstrichen. Die Wirtschaft wollte sich einfach nicht erholen. Die Börsenkurse fielen immer weiter in den Keller. Geschäfte machten bankrott. Zeltstädte sprossen überall empor. Der Reichstag hatte sämtliche einschneidenden Sparpläne Brünings abgelehnt, woraufhin der Kanzler den Reichstag aufgelöst und Neuwahlen im September angesetzt hatte. Der Wahlkampf verlief ausgesprochen gewalttätig. Die radikalen Parteien der Linken und Rechten unterstrichen ihre Wahlkampfparolen mit Schlagringen und Knüppeln. Die Nazi-Braunhemden und die Kommunisten der Rotfront trugen ihre Meinungsverschiedenheiten auf den Straßen, in den Parks und U-Bahnen aus. Die Schupo, die Schutzpolizei, war vollkommen mit der Aufgabe überfordert, diesen Revierkämpfen einen Riegel vorzuschieben, was nur die öffentliche Meinung festigte, Berlin würde immer unregierbarer.
Und dass es nicht gelang, den Kindermörder zu fangen, verstärkte das allgemeine Ohnmachtgefühl noch.
Rund um die zentrale Plaza hing der Duft von gebrannten Erdnüssen in der Luft. Fahnen wurden geschwenkt, Clowns jonglierten. Die Leute strömten in alle möglichen Richtungen. »Achterbahn! Achterbahn!« Wenigstens die Kinder waren sich einig.
Kraus hasste Achterbahnen. Er hatte nichts gegen Geschwindigkeit, solange man sich horizontal fortbewegte. Trotzdem würde er seine Kinder auf keinen Fall alleine fahren lassen. Während sie in der Schlange anstanden, um Billets zu kaufen, sah er, wie froh Erich und Stefan waren, dass sie Heinz Winkelmann mitgenommen hatten; sie kamen immer besser zurecht, wenn ihr dicklicher, gutmütiger Kumpel bei ihnen war. Trotzdem machte sich Kraus Gedanken über Heinz’ Vater. Otto schien keine Zeit mehr zu haben, mit ihm zu plaudern, eilte im Flur mit einem knappen Nicken an ihm vorbei und hatte kein einziges Mal nach den Fortschritten in seinem Fall gefragt, was ihm so gar nicht ähnlich sah. Kraus vermutete, dass er immer noch deprimiert war, weil er sein Geschäft verloren und die niedere Arbeit in der Poststelle hatte akzeptieren müssen. Vielleicht war er auch verlegen, weil Kraus ihn neulich morgens tränenüberströmt überrascht hatte. Immerhin hatte Winkelmann im Beisein von Vicki und ihm selbst Heinz gegenüber so ein Tamtam darum gemacht, dass Deutsche so etwas nicht täten. Vicki hatte jedoch angemerkt, sie hätte auch bei Irmgard eine leichte Abkühlung festgestellt.
Wenigstens amüsierten sich die Jungen köstlich. Auf der Achterbahn setzte sich Kraus mit Stefan auf eine Bank, während Erich und Heinz vor ihnen einstiegen. Als die Wagen mit einem Ruck losfuhren und den langen Anstieg zum ersten Sturz in die Tiefe nahmen, schien sich Kraus’ Magen zu verknoten. Er wäre lieber auf dem Bauch durchs Niemandsland gekrochen, als die Kurven und Volten dieses Dings zu ertragen. Doch als sie die Spitze erreichten und über die Kuppe glitten und die Kinder dabei vor Entzücken kreischten, kniff Kraus nur seine Augen zusammen und betete, dass sie sein Unbehagen nicht bemerkten. Wie würde das aussehen: Einer der bekanntesten Kriminalbeamten von Berlin hatte mehr Angst in der Achterbahn als seine Kinder.
Nach Freksas Tod stand Kraus plötzlich im Scheinwerferlicht.
Sein Ruf war vollkommen wiederhergestellt.
Weil er bereits früher mit dem Finger auf den Centralviehhof gedeutet hatte und es außerdem auch anfangs sein Fall gewesen war, hatte der Kommissar ihn schließlich mit der Leitung betraut. »Sie wollten ihn, Kraus? Bitte, er gehört Ihnen. Vermasseln Sie’s bloß nicht!« Ganz Berlin kannte jetzt seinen Namen, und er wurde immerhin mit einem Mindestmaß an Respekt behandelt ... sogar von seinen Kollegen. Doch das Auf und Ab dieser blutigen Nervenprobe blieb ebenso ekelerregend wie diese Fahrt mit der Achterbahn. Und mindestens genauso schwierig waren die Folgen, die diese Entscheidung bei Vicki ausgelöst hatte.
Wer auch immer Freksa ermordet hatte, er war ungeschoren davongekommen. Bis jetzt. Das Hackbeil, mit dem der Kriminalbeamte zerteilt worden war, wies nicht die geringsten Fingerabdrücke auf, und auch auf der Straße vor dem Schlachthaus hatten sie keine verwertbaren Reifenspuren gefunden. Je häufiger Kraus jedoch an das Motorengeräusch zurückdachte, desto überzeugter war
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