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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Schildern standen, die an Ketten herabhingen: R. J. Hessen, Jinks-Escher. Da die Trennwände nicht sehr hoch waren, konnte man alles ziemlich gut einsehen.
    Auf der rechten Seite bemerkte Kraus Dutzende von schweren Hackblöcken der Firma Plussgart & Sohn, auf denen scharfe Beile lagen und Federn, die von den Reinigungsleuten übersehen worden waren. Das verriet, dass hier offenbar Geflügel geschlachtet wurde. Links von ihm hatten die Gebrüder Görtner einen erheblich größeren Abschnitt gemietet, mit Rampen und Schwingtoren, durch die offenbar kleine Huftiere getrieben wurden. Auf sie warteten Reihen von hölzernen »Wiegen«, die sie bewegungsunfähig machten, so dass man ihnen einen kurzen Schlag auf den Schädel geben konnte. An der Wand stand eine Reihe von Spießen und eisernen Hämmern. An der Decke liefen lange, stählerne Schienen entlang, an denen zahlreiche Haken hingen, mit welchen die betäubten und gebundenen Tiere offenbar an den Beinen hochgezogen wurden; dann wurden sie weitergefahren, um den Gnadenstoß zu erhalten. Die Messer, mit denen man ihnen die Kehlen durchschnitt, hingen in glänzenden Reihen daneben. In die Schieferböden waren vergitterte Ablaufrillen eingelassen. Weiter hinten in den Bereichen, wo die Tiere gehäutet und das Fett herausgelöst wurde, gab es enorme Bottiche auf Schienen, die offenbar eine einfache Entsorgung gewährleisteten.
    Es ging hier zu wie am Fließband.
    Kraus blieb stehen und lauschte. Was war das? Hatte es irgendwo weiter vorne gerade gekracht? Oder war es nur das Klirren der Haken im Wind gewesen? Dann hörte er es erneut. Am anderen Ende des Gebäudes; es war ein Knall, wie Donner. Konnte das alles bedeuten, dass nur der Sturm wieder auffrischte? Er lief schneller, wobei er darauf achtete, kein Geräusch zu verursachen, doch dann schoben sich Wolken vor den Mond und zwangen ihn, sich durch die Dunkelheit voranzutasten. Jetzt jedoch hatte Kraus keinen Zweifel mehr, denn irgendetwas vor ihm machte einen Riesenlärm. Der Krach wuchs ständig an Intensität, während er sich der Quelle näherte, bis plötzlich ein grauenvoller Schrei gellte, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. So etwas hatte er seit seiner Zeit auf dem Schlachtfeld nicht mehr gehört.
    Mein Gott!
    Er blieb stehen, alle Sinne angespannt, und hörte eine ganze Ewigkeit nichts. Dann ... rasche Schritte. Eine Tür, die zufiel. Ein Motor, der draußen startete. Ein Lastwagen? Der Motor heulte auf, wurde lauter, bis das Fahrzeug auf der Gasse vor dem Schlachthaus vorbeifuhr und dann um den Block herum verschwand.
    Kraus’ Herz hämmerte wie wild, als er voranstürmte, ohne darauf zu achten, ob er Lärm machte. Als er am anderen Ende des Gebäudes anlangte, waren seine Schultern so angespannt, dass er das Gefühl hatte, er hätte eine Kugel abbekommen. Dort hing immer noch das Schild mit dem Namen Kleist-Rosenthaler, wie er mit einem Frösteln registrierte.
    Zuerst roch er es nur. Scharf und stechend. Dann, nachdem er sich verzweifelt umgesehen hatte, bemerkte er es: ein riesiges, fast machetenartiges Hackbeil, von dem immer noch dampfendes Blut tropfte. Und zu seinen Füßen lief am Rand des Bodens Blut in eine Abflussrinne. Seine Augen folgten dem Weg des Rinnsals, bis er ungläubig erstarrte. Zwei Hände schwangen nur Zentimeter über dem Boden, die Finger nach unten gerichtet.
    Er blickte hoch.
    Freksa hing dort mit dem Kopf nach unten. Sein blondes Haar wehte über einer Pfütze von Blut, seine Augen waren weit aufgerissen, und die Zunge quoll aus seinem Mund. Er baumelte da wie ein Stück Vieh, an zwei Haken, praktisch in zwei Teile zerhackt.

BUCH DREI

    Nichts verschwenden

SIEBZEHN

    Berlin, Juli 1930

    Schwache Schreie erfüllten die Luft.
    Aufgesogen von der aufgeregten Menge konnte Kraus die Jungs kaum festhalten. Es war Hochsommer. Seit Monaten hatte er pausenlos gearbeitet, und es war fantastisch, endlich einen Tag frei zu haben. Aber man konnte im Moment nicht vorsichtig genug sein. Vor allem, was seine Kinder betraf.
    Sie gingen durch den Haupteingang und dann die terrassenförmige Freitreppe hinab. Er erinnerte sich daran, wie er schon als Kind diese Stufen heruntergestiegen war. Der Lunapark war eine Berliner Institution. Auf dem Platz unter ihnen schleuderte der Springbrunnen immer noch Wasser und Gischt fünf Stockwerke hoch in den Himmel, dahinter schwebten die Kabinen der Drahtseilbahn über den schimmernden Halensee und die Tretboote, die wie riesige Schwäne

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