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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Blitz erleuchtete das Badezimmerfenster und prägte sich in dem Moment in ihre Netzhaut ein, als sie das Zimmer betraten. Es folgte ein krachender Donnerschlag. Sie machten noch einen Schritt und überstrichen die schrägen Decken mit dem Lichtbündel ihrer Taschenlampen. Sie mussten sich beeilen. Bald würden die Kriminaltechniker eintreffen, aber im Augenblick waren sie noch allein. Im Mansardenzimmer war es stockdunkel. Bis auf das Feuerwerk hinter dem Fenster … und die Badewanne, die hinten im Raum ein blassblau schimmerndes Rechteck bildete.
    Wie ein Swimmingpool … mit Innenbeleuchtung …
    Servaz spürte, wie der Puls in seiner Kehle pochte. Sorgfältig leuchtete er mit seiner Taschenlampe den Boden aus. Dann ging er dicht an der Wand entlang zur Badewanne. Das war nicht leicht, denn es gab zahlreiche Stolpersteine: Fläschchen und Kerzen, niedrige Möbel und flache Wasserbecken, ein Handtuchhalter und ein Spiegel. Ein Doppelvorhang rahmte die Badewanne ein. Er war zurückgezogen, und Servaz sah jetzt das Schimmern der sich auf dem Email spiegelnden Wasserfläche. Und einen Schatten.
    Auf dem Boden der Wanne lag etwas … Etwas, oder vielmehr jemand.
    Die Badewanne war ein altes Modell aus weißem Gusseisen auf vier Füßen. Sie war knapp zwei Meter lang, und sie war tief – so dass Servaz ganz nah herantreten musste, um bis auf den Grund sehen zu können.
    Er machte noch einen Schritt und zuckte unwillkürlich zurück.
    Da war sie – und sie sah ihn aus ihren weit geöffneten blauen Augen an, als hätte sie ihn erwartet. Auch ihr Mund stand offen, sie schien etwas sagen zu wollen. Aber das war natürlich unmöglich, denn dieser Blick war tot. Nichts Lebendiges stand mehr in ihm.
    Bécker und Castaing hatten Recht: Selbst Servaz hatte nur selten etwas derart schwer Erträgliches gesehen. Höchstens das enthauptete Pferd im Gebirge, das aussah wie ein schwarzer Schmetterling … Doch anders als sie hatte er seine Gefühle im Griff. Claire Diemar war mit einem unglaublichen langen Strick gefesselt worden, der unzählige Male um ihren Rumpf, ihre Beine, ihre Knöchel, ihren Hals und ihre Arme gewickelt worden war, unter ihren Achseln und zwischen ihren Schenkeln hindurchlief und ihre Brüste zusammenschnürte. Das raue Seil bildete mit seinen Unmengen von tief in die Haut einschneidenden Schlingen und groben Knoten einen regelrechten Spinnkokon aus Schnüren. Auch Espérandieu trat nun an die Wanne heran und blickte seinem Chef über die Schulter. Ein Wort drängte sich ihm auf: Bondage. Die Fesseln und die Knoten waren so dicht, so verschlungen und so fest angezogen, dass Servaz kurz überlegte, wie viele Stunden der Gerichtsmediziner wohl damit beschäftigt wäre, sie zu zerschneiden und anschließend im Labor zu untersuchen. Ein derartiges Gewirr von Strängen hatte er noch nie gesehen. Die Frau auf diese Weise einzuschnüren, dürfte dagegen weit schneller gegangen sein: Der Täter war sie mit roher Gewalt vorgegangen, bevor er sie flach in die Badewanne gelegt und den Wasserhahn aufgedreht hatte.
    Er hatte den Hahn nicht richtig zugedreht, er tropfte noch immer.
    Es tat jedesmal in den Ohren weh, wenn in dem stillen Raum ein Troppfen auf die Wasseroberfläche klatschte.
    Vielleicht hatte der Täter sie vorher geschlagen. Servaz hätte gern eine Hand in die Badewanne getaucht, unter den Kopf gefasst und den Schädel angehoben, um durch die langen braunen Haare Occiput und Os parietale abzutasten – zwei der acht Knochenplatten, aus denen sich der menschliche Hirnschädel zusammensetzt. Aber er tat es nicht. Das war die Aufgabe des Rechtsmediziners.
    Das Licht der Taschenlampe spiegelte sich auf dem Wasser. Er schaltete sie aus, und jetzt gab es nur noch eine Lichtquelle, die das Wasser wie mit Glimmerplättchen sprenkelte …
    Servaz schloss die Augen, zählte bis drei und machte sie wieder auf: Die Lichtquelle befand sich nicht in der Badewanne, sondern im Mund des Opfers. Eine kleine Taschenlampe mit einem Durchmesser von höchstens zwei Zentimetern. Sie war ihr in die Kehle gerammt worden. Nur die Spitze ragte aus dem Schlund heraus, und sie beleuchtete den Gaumen, die Zunge, das Zahnfleisch und die Zähne der Toten, während ihr Lichtbündel zugleich im umgebenden Wasser gebeugt wurde.
    Fast wie eine Lampe mit menschlichem Lampenschirm …
    Sprachlos überlegte Servaz, was diese letzte Geste wohl bedeuten sollte. Eine Art Unterschrift des Täters? Die Tatsache, dass sie für den Tathergang selbst

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