Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
mit einer der Lehrerinnen, Claire Diemar, vertieft gewesen sein; mehrfach soll er die Augen von der Fahrbahn abgewandt haben, um sie anzusprechen. Claire Diemar ist wie der Busfahrer und eine Aufsichtsperson, der 21jährige Elvis Konstandin Elmaz, unter den drei Erwachsenen, die die Tragödie überlebt haben. Ein vierter Erwachsener, der die Kinder ebenfalls begleitete, kam bei dem Versuch, sie zu retten, ums Leben.
„Eine schreckliche Geschichte, oder?“, stieß eine Stimme hinter ihnen hervor.
Servaz drehte sich um. Er betrachtete den etwa fünfzigjährigen Mann, der in der Tür stand – zerzauster Wuschelkopf, Viertagebart und eine Brille, die er in die Haare gesteckt hatte – und sie lächelnd ansah. Selbst wenn sie sich nicht im Untergeschoss der Redaktion einer Zeitung befunden hätten, hätte Servaz ihm einen leuchtenden Post-it-Zettel mit der Aufschrift „Journalist“ auf die Stirn kleben können.
„Haben über diesen Vorfall Sie berichtet?“
„Ja.“ Der Mann machte einen Schritt in ihre Richtung. „Und glauben Sie mir, das war das einzige Mal in meinem Berufsleben, dass ich den Scoop lieber jemand anderem überlassen hätte ..."
„Was meinen Sie damit?“
„Als ich am Unfallort eingetroffen bin, war der Bus bereits im See versunken. Die Feuerwehren aus dem Tal waren da. Sogar ein Rettungshubschrauber der Bergwacht kreiste über dem Unfallort. Die armen Kerle waren völlig niedergeschmettert. Sie hatten ihr Möglichstes getan, um so viele Kinder wie möglich herauszuholen, bevor der Bus im See versank, aber sie hatten nicht alle retten können, und einer von ihnen war in der Karosserie eingeklemmt und mit den Kindern auf dem Grund des Sees geblieben. Zwei weitere Feuerwehrleute, die gerade in dem Bus waren, als er in den See rutschte, konnten sich schwimmend an die Oberfläche retten. Sie sind wieder zum Bus getaucht, obwohl ihr bescheuerter Anführer es ihnen verboten hatte, und sie konnten noch ein weiteres Kind lebend bergen, aber die anderen waren bereits tot – ertrunken oder erdrückt. Und fast während der gesamten Dauer der Rettungsaktion hat dieser verdammte Scheinwerfer weitergebrannt, allem und jedem zum Trotz. Obwohl der Bus mit einer solchen Wucht aufgeprallt ist, das müssen Sie sich mal vorstellen! Dieser Scheinwerfer … ich weiß nicht … war wie ein leuchtendes Auge … Genau: das Auge von einem verdammten Fabeltier, einer Art Monster von Loch Ness, verstehen Sie? Mit Kindern in seinem Bauch, da unten auf dem Grund des Sees … Man konnte die Form des Busses erahnen … Ich hatte sogar den Eindruck, das Monster sieht wirklich … Unglaublich!“, fügte er hinzu.
Dieser letzte Satz blieb ihm schier im Halse stecken.
Servaz dachte an die Taschenlampe im Schlund von Claire Diemar, die in ihrer Badewanne ertränkt worden war, und an die seltsam verrenkte Haltung, in die ihr Mörder sie gezwungen hatte … Es fiel ihm sehr schwer, seine Verwirrung zu verbergen. Der Mann kam näher, setzte seine Hornbrille auf die Nase und beugte sich vor, um zu lesen, was auf dem Bildschirm stand.
„Aber das Schlimmste war, als die Leichen einiger Kinder aufgetaucht sind“, fuhr er fort. „Die Fenster waren eingeschlagen, der Bus lag auf der Seite. Mehr als die Hälfte der Kinder waren darunter eingeklemmt, aber die anderen sind nach einigen Stunden aus ihren Sicherheitsgurten herausgeglitten, und sie haben getan, was alle Wasserleichen tun, wenn sie nicht gerade einen Doppelzentner Beton an den Füßen haben. Sie sind wie Luftballons aufgetaucht und wie Marionetten an der Oberfläche getrieben …“
Wie Puppen in einem Swimmingpool, dachte Servaz. Allmächtiger! Der Mann schien sich von der Last seiner Erinnerungen zu befreien, und mit einem Mal wirkte er wie ein Hund, der einen im Boden vergrabenen Knochen gewittert hat.
„Sagen Sie, warum interessiert sich die Polizei von Toulouse eigentlich plötzlich für diese alte Geschichte?“ Servaz sah, wie der Blick des Journalisten von seinem Mitarbeiter zu ihm glitt und dann plötzlich wie ein bengalisches Feuer aufleuchtete. „Klar doch! Claire Diemar! Die ermordete Lehrerin … Sie war auch in dem Bus!“
Ja, klar doch , dachte Servaz. Er sah das Gehirn des Reporters auf Hochtouren laufen.
„Verdammt, in einer Badewanne ertränkt! Sie glauben, dass es eines der Kinder gewesen ist, nicht wahr? Oder jemand von den Eltern? Aber warum sechs Jahre danach?"
„Ziehen Sie Leine“, sagte Servaz.
„Was?“
„Verschwinden
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