Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
geschlossenen Augen, eine bittere Falte entstellte ihren Mund.
    „Glaubst du, dass ich das kann? Einen Mann glücklich machen? Und aufhören? Endgültig? “
    Sie sahen sich an. Es war so ein Moment, in dem sich die Waagschale zur einen wie zur anderen Seite hin neigen konnte. Sie konnte ihm alles, was er gesagt, gedacht, geglaubt hatte, verzeihen … oder aber ihn für immer aus ihrem Leben verstoßen. Und er, was wollte er?
    „Halt mich fest“, sagte sie. „Ich brauch es. Jetzt.“
    Er tat es. Er hätte es auch getan, wenn sie ihn nicht gebeten hätte. Über ihre Schulter hinweg sah er auf den See im Morgenlicht. Für ihn war der Morgen die beste Zeit des Tages. Am Ufer stand ein Reiher kerzengerade auf einem großen Holzstück, das vom Wasser umspült war. Sie drückte ihn, und er spürte, wie ihn die Wärme dieser Umarmung überflutete.
    „Du warst immer da, Martin. In meinem Herzen … Selbst als ich mit Bokha zusammen war, warst du da … Du hast mich nie verlassen. Erinnerst du dich ‚BTUS‘?“
    Ja. Er erinnerte sich. „Bis dass der Tod Uns Scheidet“ … Mit diesen vier Buchstaben hatten sie sich immer verabschiedet … Er spürte ihren Atem in seinem Ohr, ihr Mund war ganz nah. Er fragte sich, ob es stimmte, ob er ihr vertrauen konnte. Ja, sagte er sich schließlich. Er hatte genug von den Verdächtigungen, dem Misstrauen, diesem Beruf, der auf sein gesamtes Leben abfärbte. Diesmal war es einfach und eindeutig. Kein Zögern, und kein Bedürfnis, den anderen zu befriedigen. Einfach nur ein Durakkord. Wie lange schon hatte er keinen so guten Sex mehr gehabt? Er spürte, dass es ihr genauso ging: Sie beide waren noch einmal davongekommen – und ihm wurde klar, dass sie sich wünschten, wenigstens ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen. An eine Zukunft glauben wollten. Auf dem See stieß der Vogel einen langen, einsamen Schrei aus. Servaz wandte gerade noch rechtzeitig den Kopf, um zu sehen, wie er sich mit heftigen Flügelschlägen in den Gewitterhimmel aufschwang.

Freitag

43
     
    Der See 3
    In seinen Traum starb er. Er lag ausgestreckt auf dem Boden und betrachtete den sonnendurchfluteten Himmel. Tausende von schwarzen Vögeln zogen dort oben schreiend ihre Kreise, während er verblutete. Dann tauchte in seinem Blickfeld eine Gestalt auf, die den Kopf über ihn beugte und ihn betrachtete. Trotz der grotesken Perücke und der großen Brille hatte er nicht den geringsten Zweifel, wer diese Person war. Er fuhr aus dem Schlaf hoch, in seinem Kopf hallten noch immer die Vogelschreie wider. Er hörte Geräusche im Erdgeschoss, und er roch den Duft von Kaffee.
    Wie spät war es? Er stürzte sich auf sein Telefon. Vier verpasste Anrufe … Dieselbe Nummer. Er hatte über eine Stunde geschlafen. Er rief an.
    „Mann, was ist mit dir los?“, sagte Espérandieu.
    „Ich komme“, antwortete er. „Wir fahren in die Redaktion der République de Marsac. Das ist eine Lokalzeitung. Finde ihre Nummer heraus und ruf sie an. Sag ihnen, dass wir alles über den Busunfall brauchen, der sich am 17. Juni 2004 am Stausee von Néouvielle ereignet hat.“
    „Was ist das für eine Geschichte mit dem See? Hast du was Neues herausgefunden?“
    „Ich erkläre es dir nachher.“
    Er legte auf. Marianne kam mit einem Tablett ins Schlafzimmer. Er trank den Orangensaft und den schwarzen Kaffee in einem Zug und machte sich dann über das Butterbrot her.
    „Kommst du wieder?“, fragte sie unvermittelt.
    Er sah sie an, während er sich die Lippen abwischte.
    „Das weißt du doch“, sagte er.
    „Ja. Ich glaube schon.“
    Sie lächelte. Ihre Augen ebenfalls. Ihre tiefen, grünen Augen.
    „Hugo bald auf freiem Fuß, du hier … Alle Missverständnisse zwischen uns ausgeräumt … Ich habe mich schon lange nicht mehr so wohlgefühlt. Ich meine … so glücklich. “
    Sie hatte gezögert, dieses Wort auszusprechen – als könnte sich das Glück in Luft auflösen, sobald man es benannte.
    „Wirklich?“
    „Jedenfalls war ich noch nie so nah dran, es zu sein“, korrigierte sie sich.
    Er duschte. Zum ersten Mal seit Beginn der Ermittlungen spürte er einen Energieschub und die Lust, loszustürmen und Berge zu versetzen. Wie Margot fragte er sich, ob es mit diesem Unfall irgendeine besondere Bewandtnis hatte, und er ahnte, dass es so war.
    Zum Abschied umarmte er Marianne, und sie ließ sich widerstandslos an sich ziehen. Trotz allem fragte er sich unwillkürlich, ob sie seit gestern Abend etwas genommen hatte. Als würde sie

Weitere Kostenlose Bücher