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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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erdenkliche Weise an das Mitgefühl des Lesers. Weitere Fotos, Großaufnahmen von Angehörigen in stiller Trauer, zuerst um die Särge, dann auf dem Friedhof. Ganz groß inszeniertes Pathos.
     
    Bewegender Abschied von den neunzehn Opfern des Busunfalls gestern in Marsac, in Anwesenheit des Verkehrs- und des Bildungsministers.
     
    Die meisten Rettungskräfte stehen noch immer unter Schock seit der schrecklichen Nacht am Stausee von Néouvielle. „Am Schlimmsten“, so einer von ihnen, „waren die Schreie der Kinder.“
    Nachdem Mitgefühl und Ergriffenheit gewichen waren, änderte sich der Tonfall der Artikel. Man musste kein Kirchenlicht sein, um zu verstehen, dass die Journalisten Blut gewittert hatten.
     
    Zwei Artikel machten für den Unfall den Fahrer verantwortlich:
     
    Tödlicher Unfall am Stausee von Néouvielle: Vernehmung des Fahrers
    Tödlicher Busunfall: Ist der Fahrer verantwortlich?
    Laut Aussage des Staatsanwalts von Tarbes werden zur Aufklärung des Busunfalls, der in der Nacht vom 17. auf den 18. Juni siebzehn Kindern und zwei Erwachsenen das Leben kostete, gegenwärtig vor allem zwei Hypothesen geprüft: eine technischer Fehler im Zusammenhang mit dem schlechten Zustand des Fahrzeugs, und menschliches Versagen. Nach Aussage mehrerer Kinder soll der Busfahrer, Joachim Campos, 31, ein reges Gespräch mit einer der Lehrerinnen geführt haben, die die Kinder begleiteten, obwohl die enge, kurvige Seeuferstraße beständige Konzentration verlangte; in einem Moment der Unaufmerksamkeit soll er dann die Kontrolle über das Fahrzeug verloren haben. Der Staatsanwalt dementierte freilich diese letzte Information und erklärte, es gebe mehrere Ermittlungsansätze, „darunter menschliches Versagen“; die Zeugenaussagen müssten jedoch überprüft werden.
     
    „Warum hast du das getan, Suzanne?“
    Paul Lacaze verstaute ein paar Sachen in seinem Koffer, der offen auf dem Bett stand. Sie beobachtete ihn von der Tür aus. Er wandte den Kopf zu ihr um, und der Blick aus den tiefen Augenhöhlen, die die Krankheit gegraben hatte, ließ ihn taumeln wie ein Faustschlag. Es war, als wäre die gesamte Energie, die ihr noch blieb, in diesem kurzen, hasserfüllten Funkeln konzentriert.
    „Du Dreckskerl“, zischte sie.
    „Suzanne …“
    „Halt die Klappe!“
    Schmerzerfüllt betrachtete er das hohlwangige Gesicht, die graue Haut, die Zähne, die hinter den blutleeren Lippen hervortraten wie bei einem Totenschädel, die Kunsthaarperücke.
    „Ich wollte sie gerade verlassen“, sagte er. „Ich wollte unsere Beziehung beenden. Ich habe mit ihr darüber gesprochen …“
    „Du lügst.“
    „Du musst mir nicht glauben, und doch ist es die Wahrheit!“
    „Warum willst du dann nicht sagen, wo du am Freitagabend gewesen bist?“
    Er spürte, dass sie noch immer ein klein wenig daran glauben wollte … Er hätte sie so gern überzeugt, dass er sie geliebt hatte, dass er das, was sie miteinander geteilt hatten, mit sonst niemandem erlebt hatte. Damit sie wenigstens diese Gewissheit mit ins Grab nahm. Er hätte sie gern an die schönen Momente erinnert, an all die Jahre, in denen sie ein vollkommenes Paar gewesen waren.
    „Ich kann es dir nicht sagen“, antwortete er widerstrebend. „Jetzt nicht mehr … Du hast mich schon einmal verraten. Ich kann dir nicht mehr trauen … Wie sollte ich, wo ich wegen dir im Gefängnis lande?“
    Er sah, wie nun sie in Wanken geriet, wie ihre Augen flackerten. Für einen kurzen Moment war er versucht, sie in die Arme zu nehmen, dann schwand die Versuchung. Wie zwei Boxer in einem Ring blieben sie sich keinen Schlag schuldig. Er fragte sich, wie es soweit mit ihnen hatte kommen können.
     
    „Verdammt!“, entfuhr es Espérandieu, als er den nächsten Artikel las. Servaz sah nicht so gut wie sein Mitarbeiter und las daher die nicht besonders deutlichen kleinen Buchstaben auf den Mikrofiches auch weniger schnell; trotzdem schlug sein Herz höher, als er die Aufregung in seiner Stimme bemerkte. Seine Augen taten ihm weh, und der ganze Staub, der sich in diesem Verschlag angehäuft hatte, juckte ihn in der Nase. Er rieb sich die Augen, beugte sich zu dem leuchtenden Bildschirm hin und las:
     
    Die Unfallursache ist noch nicht geklärt, aber die Hypothese des menschlichen Versagens scheint sich zu bestätigen. Tatsächlich gehen die Aussagen der überlebenden Kinder wohl alle in die gleiche Richtung: der Busfahrer Joachim Campos, 31, soll zum Zeitpunkt des Unfalls ins Gespräch

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