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Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Kindertotenlied: Thriller (German Edition)

Titel: Kindertotenlied: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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muss Ihnen leider sagen, dass es keine spezifische Behandlung gibt. Einwirken kann man nur auf die Ursache. Die aber ist im vorliegenden Fall bereits beseitigt; wir brauchen daher nur abzuwarten, bis sich die Dinge wieder von selbst einrenken. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass wir eine chirurgische Ablation vornehmen müssen, damit Sie Ihre Sehkraft wieder hundertprozentig zurückerlangen. Wir werden sehen. In der Zwischenzeit werden wir Sie zur Beobachtung hier behalten. Und Sie müssen eine Zeitlang diesen Verband auf Ihren Augen tragen. Nehmen Sie ihn keinesfalls ab.“
    Er nickte und verzog das Gesicht.
    „Man kann sagen, dass Sie keine halben Sachen machen“, spöttelte der Arzt.
    Gern hätte er ihm eine bissige Antwort gegeben, aber seltsamerweise beruhigte ihn dieser Satz. Bestimmt wegen des aufgekratzten Tons, in dem der Mediziner sprach.
    „Gut, ich schaue später wieder vorbei. Ruhen Sie sich aus.“
    „Er hat recht“, sagte Ziegler neben ihm, als sich die Schritte entfernt hatten. „Du machst keine halben Sachen.“
    Er hörte an ihrer Stimme, dass sie lächelte. Und daraus folgerte er, dass auch sie beruhigende Neuigkeiten hatte.
    „Sag mir, was er dir gesagt hat.“
    „Das Gleiche wie dir. Es kann ein paar Stunden oder ein paar Tage dauern. Und wenn es nötig ist, operieren sie dich. Aber sehen wirst du wieder, Martin.“
    „Super.“
    „Das war ein Fehler.“
    „Was denn?“
    „Dieser Tauchgang.“
    „Ich weiß.“
    „Ich muss das meinen Vorgesetzten erklären.“
    Er verzog das Gesicht. Sie würde wieder Schwierigkeiten bekommen, das wusste er. Und schon wieder wegen ihm.
    „Es tut mir leid. Ich übernehme die gesamte Verantwortung. Ich werde mit Sartet und dem Staatsanwalt abklären, ob es nicht möglich ist, eine richterliche Anordnung zurückzudatieren … Sonst sage ich einfach, dass ich dich angelogen habe, dass ich behauptet habe, ich hätte eine. Und falls sie mich befragen, bestätige ich das.“
    „Mhm. Entlassen werden sie mich deshalb jedenfalls nicht. Außerdem können sie mich kaum noch härter maßregeln, als sie es sowieso schon getan haben … Und dann ist da schließlich noch die Leiche: Das rechtfertigt doch alles, oder?“
    „Wie weit sind wir mit dem Auto und der Leiche?“
    „Diesmal scheuen sie keine Kosten: Sie sind gerade dabei, alles aus dem See herauszuholen. Die Leiche wird noch heute Nacht obduziert. Alle stehen Gewehr bei Fuß.“
    Er hörte das unablässige Brausen des Gewitters hinter dem Fenster seines Zimmers und die üblichen Krankenhausgeräusche hinter der Tür: Stimmen von Pflegern, Schritte, das Rollen von Stationswagen.
    „Bin ich allein hier?“
    „Ja. Willst du, dass ich jemanden vor der Tür postiere?“
    „Wozu?“
    „Du vergisst wohl, dass gestern Nacht auf dich geschossen wurde? Du siehst nichts, du bist noch schutzloser … Und in diesem Krankenhaus herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.“
    Er seufzte.
    „Außer der Polizei weiß niemand, dass ich hier bin“, antwortete er. Sie drückte ihm die Hand. Dann hörte er, wie sie ihren Stuhl zurückschob.
    „Jetzt musst du dich erst mal ausruhen. Willst du ein Beruhigungsmittel? Die Krankenschwester kann dir eines gegeben.“
    „Nur in flüssiger Form. Und nur wenn es mindestens zwölf Jahre alt ist.“
    „Ich befürchte, das übernimmt die Krankenkasse nicht. Ruh dich aus. Ich hab noch etwas zu erledigen.“
    Er richtete sich unmerklich auf. Er hatte die Spannung in ihrer Stimme bemerkt.
    „Das scheint wichtig zu sein.“
    „Ist es auch. Ich sage dir morgen früh mehr dazu. Es gibt ein paar Dinge, die du wissen solltest.“
    Er spürte ihre Verlegenheit.
    „Zum Beispiel?“
    „Morgen.“
     
    Ziegler blieb unter der Markise des Krankenhauses stehen und betrachtete den strömenden Regen, der auf den Parkplatz niederging. Sie sah, wie der Blitz am allmählich dunkel werdenden Himmel einen Lichtbogen bildete. Im nächsten Augenblick ließ der Donnerschlag die Luft erzittern.
    Sie zog den Reißverschluss ihrer Lederjacke hoch, setzte den Helm auf und lief zu ihrer Maschine. Beim Anfahren streckte sie die Beine vorsichtig zum Boden und verließ den Parkplatz im Schritttempo: Der sommerliche Schauer hatte die Straße in einen Sturzbach verwandelt. Sie fuhr ins Zentrum von Marsac, wie ein Schatten glitt sie durch die menschenleeren Straßen. Es war kurz vor 20 Uhr, und sie fragte sich, ob er wohl zuhause oder in seinem Büro war. Die Firmenadresse war näher. Als sie an

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