Kindheitsmuster
fünf deutschen Pfund schwer, links hinter dem fremden Schreibtisch, an dem du sitzt, auf einem hölzernen Pult liegt: ein Gegenstand, den du zum erstenmal in dieser amerikanischen Studierstube in Gebrauch siehst. »Random House Dictionary of the English Language«. Stichwort Hypnosis: »An artificially induced state resembling sleep, characterized by heightened susceptibility to suggestion.«
Eine objektive Darstellung. Subjekte sind nicht hineinverwickelt. Erfüllung des Ideals: Nobody is involved. Doch ist dies nicht die Art Hypnose, von der hier die Rede sein soll, denn »künstlich erzeugt« wurde sie nicht. Unter den englischen und deutschen Büchern des abwesenden Professors C., dessen Haus ihr für die Dauer eures Aufenthaltes in den Staaten bewohnt, findet sich der Kleine Deutsche Brockhaus, der es auch in einem Punkte anders und besser weiß als sein amerikanischer Konkurrent: Den »schlafähnlichen Zustand mit erhöhter Empfänglichkeit für Suggestion« verzeichnet unter dem bewußten Stichwort auch er, dann aber braucht er einen Relativsatz zur Erhellung der Beziehungen: »... in den ein Mensch von einem anderen, bisweilen auch durch sich selbst, versetzt wird.«
An einem nebensächlichen Wort hakst du dich fest, es scheint auf dich zuzutreffen: versetzt. Genau das. Neun Flugstunden, während die Beleuchtung immer die gleiche blieb, nach Westen, in eine Zeitzone, dieum sechs Stunden gen Morgen hin verrückt ist, auf den Breitengrad von Madrid und in ein Koordinatensystem, an dessen Schnittpunkten todsicher eine Dollarnote liegt, mit ihrer klein, aber deutlich aufgedruckten Behauptung: In God we trust.
Ende der Seite. Das amerikanische Schreibmaschinenpapier, gedrungeneres Format als der gewohnte DINA-4-Bogen, bleibt dir zwei, drei Zeilen schuldig. Das macht natürlich nichts, Mr. Random. Nur daß man gewahr werden muß: Nicht der liebe Gott selber hat es so verfügt, daß eine Schreibmaschinenseite 210 × 297 Millimeter messen soll. Oder daß es null Grad sind, wenn Wasser zu Eis gefriert. Zum erstenmal wird dir bewußt, welche Anmaßung darin steckt, zu den eigenen Maßen DIN zu sagen, was soviel heißt wie: Das Ist Norm. Und doch: Ein im Celsius-Meßbereich der Welt aufgewachsener Mensch braucht gewiß eine lange Reihe von Jahren, ehe er die Fahrenheit-Skala nicht mehr als widernatürliche Zumutung empfindet. (Herausgefallen aus den gewohnten Halterungen. Ein herausgefallenes Kapitel.)
Zu Ihnen gesagt, Mr. Random: Amerika – was immer das sein mag – nötigt den Besucher, ein gut Teil der Aufmerksamkeit, die er seiner Arbeit zuzuwenden gedachte, auf alltägliche Verrichtungen, Besorgungen, die primitivste sprachliche Kommunikation zu richten. Amerika macht müde, Mr. Random.
Hypnose aber ist bei Nellys Konfirmation getrieben worden. Ihr war es gar nicht natürlich, daß sie konfirmiert wurde. Ihre Freundin Hella, die sich »gottgläubig« nannte, wurde ja auch nicht konfirmiert. Deshalb ist man noch lange kein Heide, das sagt übrigens auch Julia: Dagegen sei es doch Heuchelei, wenn man dasganze Leben über nie in die Kirche geht, sich aber konfirmieren läßt. Entweder – oder, findet sie. Ihr Vater sieht das Problem gar nicht, und ihre Mutter, die Nellys Hartnäckigkeit in Überzeugungsfragen kennt und fürchtet, weicht auf Schnäuzchen-Oma aus: Die würde es nicht verwinden, wenn Nelly sich nicht konfirmieren ließe. Es stimmt: Zur Kirche geht sie gerade auch nicht, aber sie glaubt an Gott und all das. Also tu uns den Gefallen.
An Gott glaubt Nelly auch. Aber daß es ihr nichts ausmachen würde, jeden Mittwochmorgen von acht bis neun zum Konfirmandenunterricht ins Gemeindehaus zu gehen, das wäre glatt gelogen. Nach der dritten Stunde bei Pfarrer Grunau wiederholt sie dringlicher ihren Wunsch, nicht konfirmiert zu werden.
Was ist passiert?
Nichts. Soll sie sagen, daß sie sich vor Pfarrer Grunaus über dem Bauch gefalteten Händen ekelt? Sie begreift schon: Des Pfarrers Hände sind kein Argument. Oder daß man beim Beten den Kopf senken soll. Erhobenen Kopfes kontrolliert Pfarrer Grunau das Senken der Konfirmandenköpfe. Er gibt es immerhin nach einiger Zeit auf, strafend ihren Namen zu nennen. Gott, wie Nelly ihn sich vorstellt, will kein Zeichen von Unterwürfigkeit. Daß Nelly die Hände, anstatt sie vorschriftsmäßig zu falten, nebeneinander auf die Stuhllehne ihres Vordermannes legt, entgeht dem Pfarrer.
Charlotte Jordan findet, man soll sich nicht zu gut sein, zu tun, was alle
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