Kindsköpfe: Roman (German Edition)
Nächte in Düsseldorf verbringen. Niklas wunderte sich, warum der Platz in seinem Kleiderschrank jeden Tag knapper wurde, bis er feststellte, dass Oliver heimlich nach und nach Sachen aus seiner Wohnung herübergeholt hatte, und als dann plötzlich noch sein hässlicher Rattan-Schaukelstuhl mitten im Wohnzimmer stand und all die antiken Möbel beleidigte, musste Niklas seinen Freund daran erinnern, dass der Frühling begonnen hatte.
»Kinder?«, fragte Niklas und schob seine Rückenlehne in eine aufrechte Position.
»Hm.«
»Du und ich?«
»Ja.« Olivers blaue Augen nahmen den Ausdruck an, mit dem er seinen Freund sonst bat, ihm die Füße zu massieren oder mitten in der Nacht Schokoladenpudding zu kochen. Normalerweise war Niklas gegen den Blick wehrlos.
»Du willst wissen, warum du und ich keine Kinder haben?«
»Ja-ha.«
Niklas war in lautes Gelächter ausgebrochen, weil er sich Oliver partout nicht in der Vaterrolle vorstellen konnte – so sehr war sein Freund selber noch ein Kind, trotz seiner 38 Jahre.
Beleidigt hatte Oliver die Kopfhörer aufgezogen und dem Hörspielkanal gelauscht. Aber erledigt war die Sache für ihn noch lange nicht. Nach ihrer Rückkehr aus Berlin verging keine Woche, ohne dass er Ratgeber und Zeitschriften für junge Eltern kaufte, die er zwar nicht alle las, aber offenbar gab ihm der stetig wachsende Bücherstapel auf seinem Nachttisch das gute Gefühl, irgendwie schwanger zu sein.
»Gute Nacht, du Vater Morgana«, zog Niklas ihn eine Zeitlang auf, bevor er beim Zu-Bett-Gehen Olivers Nase küsste und das Licht löschte.
Doch Olivers biologische Uhr hatte zu ticken begonnen – so laut, dass er nachts oft nicht schlafen konnte. Der große Zeiger seiner Eieruhr, wie er sie gerne nannte, stand kurz vor der 4. Nicht dass er fürchtete, seine Zeugungsfähigkeit könne später nachlassen; vielmehr fand er, dass er bald schon eher als O- denn als Papa in Frage käme, schließlich war er ab 40 als Adoptivvater schwer vermittelbar. Dabei war ebendas Olivers ursprüngliche Idee gewesen: ein Baby aus Vietnam oder Afrika anzunehmen.
Niklas fand die Idee, Vater zu werden, nicht grundsätzlich unattraktiv: Es gab so viele schlecht oder gar nicht erzogene Kinder, und immer wenn er von Eltern las oder hörte, die ihre Sprösslinge misshandelten oder verhungern ließen, packte ihn die kalte Wut: Die bekamen Kinder wie andere Leute einen Schnupfen und hatten gar keine Ahnung, wie privilegiert sie waren! Doch mit 33 Jahren hatte er seine Prioritäten anders sortiert. Alois Wittenberg aus der Agentur kündigte schon lange seinen Abschied an, um ganz für seine Frau da zu sein, die an Alzheimer erkrankt war. Niklas gab sich berechtigten Hoffnungen hin, ihn dann als Creative Director zu beerben. Nur hätte er Oliver nichts davon erzählen sollen, der ihn schon gelegentlich als »Herrn Direktor« verspottete.
Wenn es also so etwas wie eine biologische Uhr gab, dann arbeitete sie in Niklas’ Fall noch eher geräuscharm. Abgesehen davon, dass es bei ihm nicht richtig tickte, füllte ihn sein Job vollkommen aus. Zwölf-Stunden-Tage waren keine Seltenheit. Immerhin lagen die mageren Zeiten als maximal beschäftigter Junior-Texter mit minimaler Bezahlung hinter ihm. Und er wollte reisen – gerne auch nach Afrika, aber von dort Kinder importieren? Solche, die womöglich schon ein paar Jahre lang die Hölle eines Waisenheims durchlitten hatten? Nicht dass es keine grundsätzlich schöne Idee wäre, so einen armen Wurm zu retten, aber Niklas fand: Wenn er irgendwann Kinder haben sollte, dann wollte er für ihre Neurosen auch selber zuständig sein.
Er war anfangs davon ausgegangen, dass sich Olivers Vaterschaftseuphorie wieder legen würde, wie zwei Jahre zuvor, als er seine eigene Bar aufmachen wollte, und so versuchte er es mit einem Ablenkungsmanöver: Warum nicht mehr Zeit mit den Kindern seiner stets übellaunigen Schwester Inken verbringen, die ihren Nachwuchs ohnehin am liebsten vor dem Fernseher parkte? Immerhin war Oliver der Patenonkel des Jungen.
Doch davon wollte er nichts wissen. Der gelernte Tischler, der – nach einer Reihe von Gastspielen als Barmann in verschiedenen Kölner Kneipen – inzwischen als Fitnesstrainer arbeitete, hatte resümiert, was er bislang erreicht hatte. Er war unzufrieden und so gut wie 40 – ein Dilemma, das offenbar nur ein eigenes Kind lösen konnte.
Ratsuchend wandte sich Niklas an seine Freundin Nadja, die wie er als Senior Texter in der Agentur
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