Kindsköpfe: Roman (German Edition)
arbeitete. Eine Frau in seinem Alter, so dachte er, hätte sicher eine Meinung zum Thema Kinderkriegen. Doch als er sich ihr beim Altbiergelage in einer Studentenkneipe anvertraute, tat sie so, als wollte sich Niklas lebendig begraben lassen.
»Wenn ich du wäre, würde ich jeden Tag mein Glück feiern, dass ich mir ums Schwangerwerden keine Sorgen machen muss!«, schrie sie gegen die laute Musik an.
»Oliver redet von nichts anderem mehr!«, schrie er zurück.
»Willst du dir für ein Kind deine Chancen in der Agentur versauen?«
Niklas trank stumm von seinem Bier.
»Und überhaupt: Was wird sexy Jay dazu sagen?«
Jay war ein Fahrradkurier, ein großgewachsener Schwarzer, dessen Dienste sie oft in Anspruch nahmen. Nadja behauptete gern, dass Niklas den Kurier deshalb so oft kommen ließ, um ihn in seinen knappen Latexhosen zu bewundern.
»Jay hat selber zwei Kinder. Er wäre stolz auf mich.«
Doch Nadja hörte gar nicht mehr zu. Sie starrte dem bestenfalls minderjährigen Kellner, der ihnen gerade eine neue Runde Altbier servierte, auf den mickrigen Hintern und leckte sich über den Brillanten zwischen ihren Schneidezähnen. Abwesend schlug sie Niklas vor, sich einfach einen netten Hund aus dem Tierheim zu holen.
»Nur bitte keinen Mops, sonst kann ich dich leider nicht mehr besuchen kommen.«
Schließlich rief er seine Berliner Freunde an. Uwe und Kareem schlugen vor, im Sommer mit ihnen auf die Virgin Islands zu fliegen, wo man prächtig segeln, tauchen und schnorcheln konnte. Niklas schöpfte kurz Hoffnung, da Oliver eine begeisterte Wasserratte war.
»Willst du mich umbringen?«, echauffierte sich sein Freund, als Niklas ihm die Idee unterbreitete. »Ein angehender Vater treibt doch keinen Risikosport mehr!«
Ein halbes Jahr war inzwischen vergangen, doch Olivers Kinderwunsch hielt sich hartnäckig. Da versuchte es Niklas mit einer Schocktherapie. Er zeigte seinem Freund verschiedene Folgen der Super-Nanny . Er hoffte, der permanent brüllende ADS-Junge könnte Oliver von seinem Kinderwunsch abbringen oder wenigstens das kleine süße Mädchen, das mit dem Messer auf seine Mutter losging. Geduldig verfolgte Oliver Fall für Fall bis zum Ende, um dann jedes Mal mit einem siegessicheren Lächeln zu sagen: »Unsere Kinder werden nicht so, Nikki.«
Da Niklas nicht weiterwusste, spielte er die Machtkarte aus. Sein Freund hatte ihm vor einiger Zeit die Erlaubnis abgerungen, sich mit anderen Männern vergnügen zu dürfen. Das hatte nichts mit mangelnder Zuneigung zu tun, es war nicht mal ein Zeichen nachlassender körperlicher Anziehungskraft. Vielmehr war es so, dass sich ihre sexuellen Wünsche nicht vereinbaren ließen. Oliver, der seine Phantasien nicht für fortgeschritten pervers hielt, hatte dies sehr bedauert. Alles, was er wollte, war, mit seinem Partner zu verschmelzen, um größtmögliche Nähe herzustellen, aber Niklas mochte von Eindringlichkeiten jeglicher Art nichts wissen. So duldete er Olivers Abenteuer, auch wenn sie ihn verletzten.
»Wenn du aufhörst, andere Männer zu treffen, können wir auch über Kinder reden«, schlug er darum vor, überzeugt, dass sein Freund niemals auf den Handel eingehen würde. Oliver bat sich Bedenkzeit bis zum Wochenende aus, doch schon am nächsten Tag verkündete er, dass er bereit sei.
Niklas musste seine Frontalopposition aufgeben, auch wenn er immer noch nicht hundertprozentig von der Idee einer Familiengründung überzeugt war. An ihrem sechsten Jahrestag, den sie in Wien verbrachten, fing Oliver bei einem abendlichen Spaziergang entlang der Donau wieder von den Kindern an. Niklas, von den Gerüchen und den Lichtern der Stadt eingelullt, schlug schließlich eine Teilzeit-Vaterschaft vor: Sie würden sich eine nette Mutter suchen oder auch zwei, bei denen das Kind lebte, und am Wochenende kämen die Väter zum Zug. Für seinen Geschmack war das gerade genug Verantwortung. Oliver, der spürte, dass er seinen Freund endlich da hatte, wo er es wollte, schlug ein und setzte bei ihrer Rückkehr nach Düsseldorf eine Anzeige in ein Lesbenmagazin.
Seitdem machte Oliver eine merkwürdige Verwandlung durch: Plötzlich drehte er sich nach Frauen auf der Straße um, und zwar nicht nur nach solchen mit Kinderwagen. Dass er in seinem früheren Leben mit Frauen zusammen gewesen war, hatte Niklas bislang auf befremdliche Art und Weise erregt; nun machte es ihm Angst: Würde sein Freund in schlechte Gewohnheiten zurückfallen?
Als die ersten Zuschriften eintrafen,
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