Kindsköpfe: Roman (German Edition)
sollen.«
»Richtig.«
»Dieselbe Schwester starb kurze Zeit nach dieser – angeblichen – Äußerung durch einen tragischen Sturz aus dem Fenster. Wer war der Letzte, der sie lebend gesehen hat?«
»Das war ich.«
»In welchem Zustand war sie, als Sie das Zimmer verließen?«
Nikas hasste Nonninger dafür, dass er ihn jene letzten Minuten mit Inken erneut durchleben ließ. Seine Anwältin blätterte in ihren Unterlagen, anstatt ihm zu Hilfe zu kommen. »Sie war unruhig, es ging ihr nicht gut. Ich wollte die Schwester holen.«
»Sie hätten einfach klingeln können.«
»Inken hatte mich gebeten, das Zimmer zu verlassen.«
»Lauter, bitte.«
»Meine Schwester wollte, dass ich sie alleine lasse.«
»Um unbehelligt zu springen?«
Plötzlich merkte Niklas, wie müde er war. »Möglicherweise«, sagte er laut.
Wolframs Anwalt legte seine Stirn in staunende Falten. »Sie haben Zweifel?«
Niklas griff in die Innentasche seiner Jacke und klammerte sich an den Umschlag, in dem sich Inkens Testament befand. Er wollte einfach nur, dass es aufhörte.
»Einspruch«, rief Tita Parese. »Hätte der Kollege die Güte, uns zu erklären, worauf er hinauswill?«
»Stattgegeben.«
»Könnte man sagen, Herr Tiedemann, dass der Tod Ihrer Schwester Ihrer … sagen wir, Familienplanung … entgegenkam?«
Tita Parese sprang auf und haute mit der Faust auf den Tisch. »Es ist ungeheuerlich, was der Kollege hier andeutet.«
»Genau, Schluss mit den Andeutungen! Sprechen wir es doch einfach mal aus!« Petra spie die Worte förmlich aus. »Vielleicht hat jemand geschubst!«
»Halten Sie den Mund!«, herrschte ihr Anwalt sie an, noch bevor van der Ohe einschreiten konnte. Petra verstummte augenblicklich und ließ sich mit verschränkten Armen zurück in ihren Stuhl fallen. Ihren Mann hielt es offenbar nicht mehr auf seinem Platz. Er klemmte sich seinen Blouson unter die Arme und verließ den Gerichtssaal.
»Wo willst du hin?« Petra folgte ihm.
Nonninger sah ihnen fassungslos nach. »Herr Vorsitzender, ich entschuldige mich für meine Mandanten und beantrage eine kurze Unterbrechung, um mich mit … «
»Sie halten gefälligst auch den Mund!« Van der Ohe wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Der Prozess machte ihm zu schaffen. Offenbar glaubte hier jeder, unaufgefordert sprechen zu können.
»Ich dachte, die Zeit der Narren ist vorbei. Ich weiß nicht, was hier heute los ist, aber ich werde die Verhandlung ordentlich zu Ende bringen.«
Dann wandte er sich direkt an Niklas. Dessen Zurückhaltung deutete er offenbar als neu ausgebrochene Demut. Der Richter sprach mit ruhiger Stimme und respektvoll im Ton, als wollte er den übrigen Beteiligten ein Beispiel geben.
»Beim letzten Mal haben Sie erklärt, dass Ihre Schwester wollte, dass Sie die Kinder nach ihrem Tod zu sich nehmen.«
»Ja.«
»Wie möchten Sie uns das beweisen?«
Niklas zog das Testament hervor und hielt es unschlüssig in der Hand. Alle Augen im Saal waren auf ihn gerichtet.
»Herr Tiedemann, haben Sie meine Frage verstanden?«
Ein kurzes Nicken war seine Antwort, dann schloss er die Augen. Er senkte den Kopf und spürte, wie all die bösen Gedanken nach vorne rutschten.
Du hast Angst, niemanden mehr zu finden, der bereit ist, deine Macken zu ertragen.
Glaubt bloß nicht den Humbug, dass Kinder einem so viel zu geben haben.
Ihr seid ja nicht mal Charlies richtige Eltern!
Besuchen Sie die Kinder ab und zu bei Ihrem Schwager, das ist besser als nichts.
Ich würde sie nie wieder hergeben.
»Herr Tiedemann, beehren Sie uns bitte mit einer Antwort.«
Tita Parese wollte nach seinem Arm greifen, aber Niklas wich aus und erhob sich. Sein Blick fiel auf Mattis. Sein alter Freund rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und kaute an den Nägeln. Möglicherweise war es sein Joint gewesen, der Inken die Sinne vernebelt hatte, sodass sie glaubte, die Außerirdischen, die Niklas ihr als Kind in den Kopf gesetzt hatte, würden sie holen kommen, aber das war nun nicht mehr von Bedeutung. Es war vorbei.
»Ich sollte für die Kinder sorgen, meine Schwester wollte es so«, sagte er schließlich und steckte den Umschlag wieder ein. »Aber leider kann ich es nicht beweisen.«
Nachdem van der Ohe die Verhandlung für beendet erklärt hatte, verließ Niklas als Erster den Gerichtssaal. Seine Mutter und Mattis versuchten sich ihm zu nähern, aber er mochte nicht mit ihnen reden. Er wollte allein sein, mit seiner Schwester.
Draußen
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