Kindspech: Tannenbergs achter Fall
hab sie angefleht«, jammerte die alte Dame, »ob sie nicht ihren Mann bitten könnte, uns das restliche Geld zu leihen. Damit unser kleiner Schatz …« Sie konnte nicht mehr weitersprechen, ein dicker Kloß steckte in ihrer Kehle.
»Und? Hat sie schon mit ihm geredet?«, fragte Tannenberg so sanft wie möglich, obwohl er innerlich sehr angespannt und ungeduldig war.
Margot wies mit der Hand zu einer zur Pirmasenserstraße hin gelegenen großflächigen Glasfront, die zum Salon der Prunkvilla gehörte. »Ich weiß es nicht«, seufzte sie. »Elfriede hat gesagt, dass sie sofort zu mir rauskommt, wenn sie mit ihm gesprochen hat.«
Die Bittsteller mussten sich noch mehr als eine Viertelstunde gedulden, bis endlich Elfriede Krehbiel auf der Sandsteintreppe erschien und sie in die Villa bat. Ihrem ausdruckslosen Gesicht konnte man keinerlei Hinweise auf die getroffene Entscheidung entnehmen.
Ihr Ehemann, der ernst und konzentriert dreinblickte, begrüßte die Tannenbergs mit Handschlag. »Entschuldigen Sie bitte, aber ich müsste Ihren Sohn alleine sprechen«, wandte er sich an Margot. Der Blick auf den beurlaubten Leiter des K 1 klärte die Frage, mit welchem der beiden Brüder er sich unterhalten wollte.
Kommentarlos folgte der Kriminalbeamte dem Seniorchef in die Bibliothek der Villa. Krehbiel nahm hinter einem reich verzierten Edelholzschreibtisch Platz, Tannenberg ihm gegenüber. Der erfolgreiche Unternehmer legte die Handflächen wie betend aneinander und ließ seinen Blick über die bis zur Decke reichenden Bücherbestände schweben. Während er sich leise räusperte, fixierte er Tannenberg. Dann legte er seine Arme auf der Schreibtischplatte ab und faltete die Hände.
»Lieber Herr Tannenberg«, begann er förmlich. »Ich kann Ihnen versichern, dass wir seit diesem schrecklichen Vorfall in Gedanken bei Ihrer Familie sind. Wir können uns sehr gut in Ihr Leid und Ihre Schmerzen hineinversetzen.«
Kannst du das wirklich?, fragte sein Gegenüber im Stillen. Mann, spar dir doch die warmen Worte. Mach’s einfach kurz und sag, dass du keinen einzigen Cent von deiner vielen Kohle rausrücken willst. Versteh ich ja.
»Ich will keine langen Vorreden halten …«
Tannenberg konnte nun nicht mehr an sich halten. »Macht überhaupt nichts, Herr Krehbiel, die Idee meiner Mutter war auf alle Fälle einen Versuch wert«, fiel er ihm ins Wort. Er stemmte sich über die Ellenbogen in die Höhe, bedachte dabei den Seniorchef mit einem müden, ausdruckslosen Blick.
»Bitte setzen Sie sich wieder hin, Herr Hauptkommissar«, bat August Krehbiel. Tannenberg glitt sanft zurück in die Lederpolster. »Mir imponiert Ihre Familie sehr. Dieser enge Zusammenhalt, dieser unbändige Wille, alles zu versuchen, um diese extrem schwierige Situation zu meistern. Lassen Sie es mich auf den Punkt bringen: Ich leihe Ihnen den Restbetrag.«
Diese völlig unerwartete Zusage kam derart überraschend, dass Wolfram Tannenberg von seinen Gefühlen überwältigt wurde. Tränen der Ergriffenheit und Erleichterung schossen aus seinen Augen. Er wandte sich ab und wischte sie mit dem Handrücken weg.
»Das würden Sie wirklich tun? Wahnsinn!«, stieß er begeistert aus.
»Ja, sicher.« Mit einem Mal nahm Krehbiels Gesicht bedeutend ernstere Züge an. »Es gibt da allerdings ein Problem.«
Wolfram Tannenberg fuhr der Schreck in alle Glieder. »Welches?«, fragte er, während er kraftlos in den Ledersessel sank.
»Deshalb wollte ich Sie auch unbedingt allein sprechen. Nachdem wir diesen Raum verlassen haben, werde ich mich an den folgenden Teil unseres Gesprächs nicht mehr erinnern. Sie übrigens am besten auch nicht. Sind wir uns da einig?«
Tannenberg nickte mechanisch. Oh Gott, was kommt denn jetzt für ein Pferdefuß?, dachte er bei sich.
»Gut. Diese fehlenden 660.000 Euro, von denen mir meine Frau berichtet hat, werde ich Ihnen aushändigen. Und zwar, ohne Sie den Betrag quittieren zu lassen.«
Wolfram Tannenberg wollte etwas sagen, doch der Unternehmer gebot ihm mit einer Geste Einhalt.
»Falls irgendwann im Laufe der weiteren Ermittlungen die Frage aufkommen sollte, von wem Sie diese stattliche Summe erhalten haben, empfehle ich Ihnen dringend, dass Sie entweder die Aussage verweigern oder sich irgendeine schlüssige Erklärung für die Herkunft dieses Geldes zurechtlegen. Wie gesagt: Ich werde alles abstreiten. Von mir haben Sie keinen einzigen Cent erhalten.«
Ich hab keine andere Wahl, sinnierte Tannenberg. Irritiert stimmte er
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