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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Kofferraum aufstemmen konnte? Mit der Kurbel zumindest konnte ich zuschlagen. Das Streichholz war abgebrannt und ich entzündete ein neues. Das Heftchen war fast noch voll. Ich hatte also Vorrat. Der Kofferraum war erstaunlich gut aufgeräumt. Außer einem Warndreieck in einem roten Plastikfutteral und einer Plastiktüte fand ich nichts mehr. Wozu brauchte der Besitzer eine leere weiße Plastiktüte in seinem Kofferraum? Fast hätte ich es übersehen. In der Plastiktüte war ein Kassenbon, ebenfalls weiß, daher leicht übersehbar bei dem ohnehin schummrigen Streichholzlicht, das jetzt auch wieder abgebrannt war. Die Flamme leckte an meinen Fingerspitzen. Ich blies sie aus und entfachte ein weiteres Streichholz. Es war der Kassenbon aus einem Fachgeschäft für Aquarienzubehör am Kottbusser Tor und er war erst ein, zwei Tage alt. Mir fiel sofort das bombastische Aquarium von Frau Stadl ein. Da hatte sie mich schon bei sich einquartiert, als der Kassenbon ausgedruckt wurde. Sie musste also vor zwei Tagen, nach ihrem Verschwinden, in dem Fachgeschäft eingekauft haben. Ich entzündete das vierte Streichholz. Frau Stadl hatte, wenn sie es war, ein komplettes Aquarium mit allem Zubehör eingekauft. Das war auf dem Bon ausgedruckt. Die Summe belief sich auf 658 Euro. Das war viel Geld. Aber wofür brauchte Frau Stadl ein neues Aquarium? Sie hatte eines von mindestens zwei Metern Länge. Wahrscheinlich war alles nur ein Zufall. Es gab viele Aquarianer auf dieser Welt.
    Multikulti sendete Nachrichten. Obama hatte sein Amt als neuer amerikanischer Präsident angetreten. Alle freuten sich auf ihn. Besonders die Bundesregierung. Obama wollte von den Verbündeten mehr Soldaten in Afghanistan. Auch in Pakistan rumorte es. Im Auto saßen mindestens zwei Entführer, die dieselben Nachrichten hörten. Wahrscheinlich waren es drei Personen. Zwei, die mich aus der Leichenhalle geschleift hatten, und ein Fahrer, der bei laufendem Motor auf die Ware wartete. Oder es waren mehr als drei. Was wollten die von mir? Der Wagen fuhr jetzt sehr langsam. Er stieß ein paar Mal vor und zurück. Dann stand er. Ich umklammerte die Kurbel des Wagenhebers. Ich hörte Autotüren zuschlagen. Es waren nicht die des Wagens, in dem ich saß. Ich hörte Kinderstimmen. Ein Hund bellte. Ein Auto wurde angelassen, der Fahrer gab kräftig Gas, der Motor heulte auf. Das alles hörte sich sehr weit weg an. Die Geräusche wurden durch den Kofferraum gedämpft. Jetzt bewegte sich der Wagen, in dem ich eingesperrt war. Die Türen knallten dreimal. Demnach waren es drei Personen, die ausgestiegen waren. Ich umklammerte die Kurbel fester. Jeden Moment konnte sich der Kofferraum öffnen. Ich würde wie der Teufel aus der Kiste aus dem Kofferraum springen, die Kurbel des Wagenhebers wie eine Keule schwingen und sie den Entführern auf den Kopf hauen. Der Kofferraum tat sich nicht auf. Mehrere Menschen gingen laut sprechend vorbei und entfernten sich. Dann hörte ich das typische Rasseln von Einkaufswagen, wenn sie über Pflaster oder unebenen Zementboden geschoben wurden. Das Rasseln blieb neben mir stehen. »Hast du den Schlüssel?«, hörte ich eine Männerstimme.
    »Nee«, sagte eine Frauenstimme.
    »Ich habe ihn aber nicht!«
    »Mein Gott!«
    »Ich hab’ ihn dir gegeben!«
    »Das sagst du jedes Mal!« Ich hörte nichts mehr. Der Mann suchte offensichtlich nach dem Schlüssel.
    »Immer das gleiche Theater!« Die Frau war jetzt ausgesprochen ungeduldig. Ich sah die Szene so richtig vor mir. Er suchte verbissen und sie schaute belustigt ihrem Ehetrottel zu, der den Autoschlüssel nicht fand. Mir dämmerte, wo ich abgestellt worden war. Vermutlich auf einem Parkplatz vor einem Einkaufscenter. Ich hörte wieder einen Einkaufswagen vorbeirasseln.
    »Was machen wir jetzt?« Der Mann hatte den Schlüssel nicht gefunden.
    »Hier ist er ja.« Die Frau hatte den Schlüssel. Ehe die beiden wegfuhren, klopfte ich mit dem Wagenheber gegen die Kofferraumtüre. Es war ein lautes, dumpfes Geräusch. Dann rief ich ganz laut »Hallo! Hallo!«, und klopfte wieder. Ich hatte Erfolg.
    »Das kommt aus dem Auto!«
    »Ich bin im Kofferraum eingesperrt!«, schrie ich.
    »Wie kommen Sie denn da rein?«, rief die Frau.
    »Ich hole die Polizei!«, rief der Mann.
    Kurz darauf kamen zwei Polizisten in einem Streifenwagen, wie ich später sah. Der Polizist klopfte auf den Kofferraum. »Sind Sie da drin?«
    »Wo denn sonst?«, brüllte ich zurück.
    »Wir machen jetzt auf!« Es dauerte eine

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