Kindswut
sorgfältig zusammen, um sie in die Innentasche meiner Jacke zu stecken. Im ›Dollinger‹ reichte es gerade noch für einen doppelten Espresso. »Erwachsen wirst du nie«, sagte mir mal Maria. Dieses Gefühl hatte ich bisweilen auch.
Kapitel 4
Die Mappe mit den Notizen über ihren Mann, die mir Frau Maibaum am Abend zuvor in ihrer Wohnung zum Studieren gegeben hatte, war verschwunden. Ich hatte sie irgendwo liegen gelassen. Wahrscheinlich im ›Lentz‹. Ich stürzte in das Lokal. »Habt ihr eine Mappe gesehen? Blau?« Niemand hatte eine blaue Mappe gesehen. Buletten gab es auch noch keine. Ich rief Martha an. Die meldete sich nicht. Ich rannte vor zum Bahnhof Charlottenburg und warf mich in ein Taxi. Ich wusste nicht, wo diese Beerdigung stattfinden sollte. Ich hoffte, Frau Maibaum noch in ihrer Wohnung anzutreffen. Ich hatte Glück. Frau Maibaum kam ganz in Schwarz gekleidet mit ihrer Freundin, ebenfalls in Schwarz, aus dem Haus. Sie steuerten auf einen Mercedes zu. Sie trugen Hut und Schleier, darunter Sonnenbrillen und hochhackige Stöckel. Ein Fahrer hielt den hinteren Wagenschlag auf. Frau Maibaum stieg ein. Der Fahrer flitzte um das Auto herum und hielt den anderen Wagenschlag auf. Es war ein richtiger Fahrer mit Chauffeursmütze und einem dunklen Anzug. Der Chauffeur bestieg seine Kutsche und fuhr los.
»Hinterher!« Mein Taxifahrer folgte. Fast hätte ich sie übersehen. Frau Stadl kam aus dem Haus von Frau Maibaum. Sie rauchte eine Zigarette, schaute nach rechts und nach links und winkte einem Taxi. Von einem jungen, attraktiven Mann, der ihr aus dem Haus gefolgt war, verabschiedete sie sich mit Wangenküssen. Dann verlor ich sie aus den Augen. Ich hatte mich doch nicht getäuscht, als ich sie am Abend zuvor in der Wohnung von Frau Maibaum bemerkt hatte.
Ich nestelte mein Handy aus der Jackentasche und wählte die Nummer von Frau Stadl, die ich auf meinem Display hatte. Sie hob ab. »Hier ist Fritz Neuhaus.«
»Fritz? Ach, Fritz! Welch schöne Überraschung! Was macht mein Kind?«
»Ich habe Sie gerade gesehen. Gestern Abend habe ich Sie auch gesehen. Bei Frau Maibaum. Auf der Party.« Das verschlug ihr für einen Moment die Sprache.
»Ich dachte, Sie sind weg?«
Sie röhrte wie ein brünstiger Hirsch. »Sie mieser, kleiner, unbedarfter Wichser! Sie wagen es, mir nachzuspionieren? Ich reiße Ihnen den Schwanz ab und stopfe ihn Ihnen in den Arsch!« Sie legte auf.
Vor uns fuhr der schwarze Mercedes. Ich kramte in meinen Hosentaschen nach Geld und fand das Honorar von Frau Maibaum. Die Taxirechnung konnte ich also bezahlen. Mein Handy läutete. Ich nahm ab. »Soll ich dir die Fresse polieren? Soll ich dir die Fresse polieren? Soll ich dir….« Ich legte auf. Sie war völlig von der Rolle. Ich dachte an das nächtliche Froschkonzert. Philip war durchaus vergnügt gewesen und bei der Sache. Vielleicht hatte seine Mutter ihn leer geplündert und er hatte deshalb keine Wörter mehr? Nur noch die Laute von Tieren? Und seine Musik. Das Akkordeon. Was aber versetzte seine Mutter derart in Rage? Wir fuhren Richtung Wedding und bogen bald in die Seestraße ein. Ich wusste jetzt, wohin wir fuhren. Zum Friedhof Plötzensee. Der Mercedes hielt vor dem Friedhofseingang.
»Wir sind da.«
Ich gab dem Taxifahrer ein gutes Trinkgeld. »Moment noch.« Ich wartete, bis Frau Maibaum und ihre Freundin ausgestiegen waren und in der Friedhofseinfahrt verschwanden. Der Boden war ein Gemisch aus Sand und feinen Kieseln. Die Knöchel in den Stöckelschuhen der beiden Frauen knickten bedenklich. Sie hakten sich einander unter, um sich zu stützen. Dann passierte es doch. Der Freundin brach ein Stöckel ab. Sie lamentierte, während sie auf einem Bein stand und sich an Frau Maibaum festhielt. Frau Maibaum wollte weiter. Die Freundin aber nicht. Sie krallte sich fest an der Schulter von Frau Maibaum. Die riss sich mit einem Zucken der Schulter los und stapfte energisch weiter durch den Sand. Die Freundin schlüpfte in den stöckellosen Schuh und hinkte schimpfend hinterher. Frau Maibaum schimpfte über die Schulter zurück. Ich hätte gerne gehört, was sie sich zuriefen.
Ich stieg aus dem Taxi und folgte den beiden. Ich wollte mir die Trauergemeinde erst einmal aus der Ferne anschauen, zumal ich nicht die geringste Ahnung hatte, was ich über den Toten sagen sollte. Ich wusste nichts. Vielleicht traf ich jemanden, der mir ein paar Auskünfte geben konnte. Einen alten Kollegen, einen Freund, einen Angehörigen. Viel
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