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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Alle Verhärmtheit war verflogen. Sie trug das schwarze Kopftuch nicht mehr. Vielleicht lag es daran. Ihre Haare waren hellblond und kurz geschnitten. Ihre hellgrauen Augen leuchteten. Zu guter Letzt stellte sie eine Grableuchte auf das Grab und zündete sie an. Wir verharrten für einen Moment.
    »Er war ein lieber Mensch. Das hat er nicht verdient.« Wir schlenderten zurück zum Friedhofsausgang. »Trinken wir noch was?«
    Sie lehnte ab. »Termine.«
    Ich fragte nicht, welche Termine sie hatte. »Wie heißt das Altersheim?«
    »Es ist das St. Antonius-Stift. Nähe Rudolphplatz.«
    »Treffe ich Sie dort?«
    »Kann sein.« Auskünfte waren nicht ihre Sache. Wir verabschiedeten uns per Handschlag. Sie fuhr mit einem Fahrrad davon. Nach ein paar Metern drehte sie sich zu mir um und winkte. Ich winkte zurück. Warum war ich nicht auch mit dem Fahrrad gekommen? Ich wäre mitgefahren und hätte sie ein Stück begleitet. Mir war danach.
    Ich könnte jetzt zu Fuß ins Altersheim gehen. Bis zum Rudolphplatz war es nicht weit. Aber was wollte ich da? Ein gutbetuchter Pensionär landete in einer drittklassigen Altersabsteige. Die viel jüngere Gattin sahnte ab. Pech gehabt, alter Mann. Vielleicht war er nicht der Einzige, der dort gelandet war, mit einer lauernden Erbin im Kreuz. Ludwig hielt dann die Grabreden. Willy spielte. Aber ging mich das alles wirklich etwas an? Ich hatte 500 Euro kassiert für nichts und eine kurze Fahrt im Kofferraum. Fertig.
    Ich könnte andere Sachen machen. Ich könnte zu Barbara Vogelweide fahren und sie über Philip ausfragen. Ein Besuch stand ohnehin an. Ich drückte mich. Sie wusste zu viel über mich. Das war mir unangenehm. Sie hatte diesen alles durchschauenden Röntgenblick, wie ihn auch Maria hatte. Es war wie mit den Duschvorhängen, die ständig herunterfielen, und plötzlich stand man nackt da. Aber mit Philip war es wie mit den alten Männern. Was ging er mich an? Er war ein Schranksitzer. Das war ich auch. Lange vorbei. › Das Kind in dir weint immer noch. ‹ Maria kann mich doch mal.
    Ich könnte aber auch zu Martha und Ludwig fahren und sie ausquetschen über diese merkwürdigen Damen und Trauerpartys. Aber auch die konnten mir gestohlen bleiben. Ich hatte keinen wirklichen Anlass, mich darum zu kümmern. Schuld an allem waren meine Wohnung, die Presslufthämmer, der Lärm. Sie hatten mich vertrieben. Keine schützende Bleibe. Jammer. Mein Handy klingelte.
    »Fritz? Hier ist Claus.«
    »Ja?«
    »Du solltest mal in deine Wohnung kommen.«
    »Wieso?«
    »Wie soll ich sagen. Da ist wohl eingebrochen worden.«
    »Eingebrochen?«
    »Sieht fast so aus.«
    »Ich komme.« Einfach ganz weit wegfahren. Das war es. In Berlin stand an jeder Ecke ein anderes ›Hallo‹ mit einem schrägen Lächeln im Gesicht. Viele Irre waren in der Stadt ständig unterwegs.
    Claus stand vor seinem Weinladen und wartete auf mich. Er war ganz aufgeregt.
    »Die Polizei ist oben.« Ich hatte nie mit der Polizei zu tun. Jetzt bereits das zweite Mal an einem Tag. Ich ging durch den Innenhof. Claus kam mit. »Deine Nachbarin, die Frau Schneider, hat mir Bescheid gesagt. › Bei dem Herrn Neuhaus steht die Türe offen. Er ist aber nicht da. Waren Sie das? Sie holen doch immer seine Post, wenn er nicht da ist, und legen sie auf seinen Küchentisch. ‹ «
    Claus legte die Post auf meinen Küchentisch. Aber woher wusste Frau Schneider das? Sie hatte ständig die Nase zwischen ihren Gardinen. In meiner Wohnung waren zwei Beamte. »Sind Sie Herr Neuhaus?«
    »Ja.« Ich schaute mich um. Die Wände im Flur waren vollgesprüht. ICH MACHE DICH FERTIG DU WICHSER. Dieser Spruch zierte die Wände des Flurs kreuz und quer in knallroter Farbe. Er kam mir bekannt vor. Frau Stadl hatte sich auf meinen Wänden verewigt. In der Küche waren blaue Penisse an die Wände gesprüht mit richtig prallen Eiern. Auf den Eiern prangten dick und fett schwarze Hakenkreuze. Das bestätigte meinen Verdacht. Den Heißwasserboiler zierte ein Penis. »Hart gekocht« war mit Filzstift auf die dicken Eier neben die Hakenkreuze geschrieben. Das war ja wohl äußerst witzig. Frau Stadl hatte Schablonen benutzt. Eine für den Penis, eine für die Hakenkreuze. Die Schablonen musste man erst mal herstellen. Das war kein spontaner Akt. Das war überlegte Handlung. Die anderen Zimmer waren unberührt. Meine Bilder hatte sie verschont. Bis auf eines. Sie hatte schwarzen Lack aufgesprüht. Das Bild war hinter Glas. Ich musste das Glas auswechseln. Trotzdem

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