Kindswut
Hoffnung hatte ich nicht. In einem Kiosk gab es Blumengebinde und Kränze im Angebot. Im Angebot mit enthalten waren bedruckte Kranzschärpen mit bis zu fünf Worten für acht Euro. ›Ich werde dich nie vergessen‹, ›Für immer bist du fort‹, ›Es war schön mit dir‹. ›Es war so schön mit dir‹ kostete gleich fünf Euro mehr. Eine Frau in Gummistiefeln, neben der eine grüne Gießkanne stand, verteilte Flyer. Auf dem Flyer waren günstige Beerdigungsgesamtpakete zu lesen. ›Für 499 Euro bist du dabei‹. ›Hier liegst du richtig‹. ›Trau dich‹.
Frau Maibaum und ihre hinkende Freundin betraten ein niedriges, flaches Gebäude mit Rauverputz, der in den Jahren vom Rauch der Ofenheizungen im Wedding fast schwarz geworden war. Über der Eingangstüre war ein Steinkreuz angebracht. Zwei Männer in schwarzen Gehröcken näherten sich dem tristen Gebäude ebenfalls. Das Gehen fiel ihnen schwer. Es war mühsam für sie. Sie trugen Hüte. Jeder von ihnen hatte einen Blumenstrauß in der Hand. Nur mit Mühe schafften sie die zwei Stufen hoch zum Eingang. Neben dem Eingang stand eine ältere Frau. Sie war in einen abgetragenen schwarzen Mantel gehüllt. Sie rauchte mit schnellen Zügen eine Zigarette und musterte immer wieder das Gebäude, als hätte sie es eilig. Auch sie hatte einen kleinen Blumenstrauß in der Hand.
Ich sprach sie an. »Ist das hier die Beisetzung von Herrn Maibaum?« Sie hatte überraschend klare hellgraue Augen, die gar nicht passten zu dem verhärmten, schmalen Gesicht unter dem schwarzen Kopftuch.
»Ja.« Sie warf die Kippe auf den Boden und trat sie aus. »Es geht gleich los.« Sie schaute wieder in das Gebäude. »Ich soll die Grabrede halten.« Sie war überrascht. »Sie?«
»Ich weiß nichts über Herrn Maibaum.«
»Was wissen sollte man schon.« Sie machte eine Pause und musterte mich. »Ein anderer sollte sie halten.«
»Ja, Ludwig.« Sie grinste und hatte Grübchen in den Wangen. Jetzt sah sie fast schelmisch aus und gar nicht mehr so verhärmt. »Mich wundert ja nichts mehr.« Sie holte ein Päckchen Tabak aus ihrer Manteltasche und drehte sich in Windeseile eine neue Zigarette. Sie machte das sehr geschickt mit nur einer Hand. Sie zündete sich die Zigarette an. Die Tabakkrümel, die aus der Zigarettenspitze hingen, glühten auf. Sie machte einen tiefen Zug. »Was wollen Sie denn wissen?«
»Was müsste ich denn wissen?«
»Na schön. Er war ein lieber Mensch. Großzügig. Professor und Erfinder. Erfand Prothesen, die auf Nervenreize reagierten. Hat viel Geld verdient. Lag drei Jahre im Altersheim. Drittklassiges Institut. Billig. Seiner unwürdig. Hatte vor drei Jahren einen Schlaganfall. Sie hat ihn da regelrecht abgestellt. Wie in einer Besenkammer. Kassierte seine dicke Rente. Beachtliches Vermögen. Immobilien. Aktien. Sie war in den drei Jahren kaum da.«
Ein Mann im schwarzen Anzug streckte den Kopf zur Türe heraus. »Gehören Sie zu Maibaum?« Wir bejahten. »Wir müssen.« Sie schnippte die Zigarette weg und wir betraten das Gebäude.
Es war ein schmuckloser großer Raum. Bankreihen, ein großes Holzkreuz, vor dem ein schlichter Holzaltar stand. Durch buntverglaste, hohe, schmale Fenster in der Rückwand des Raumes fiel diffuses Licht. Sechs nackte Glühbirnen hingen von der Decke. Ein abgelatschter roter Läufer lag in dem Gang zwischen den Bänken. Auf dem Läufer, vor dem Altar, stand der Sarg. Er war schmucklos bis auf einen Kranz aus Kunststoff, der an ihn gelehnt war. Die zwei Schärpenenden hingen schlapp herunter. Ich hätte gerne gewusst, welcher Spruch auf den Schärpen stand. Die zwei alten Herren saßen in der letzten Reihe. In der ersten Reihe saßen Frau Maibaum und ihre Freundin. Im Hintergrund, neben dem Kreuz, standen vier Männer in viel zu kleinen Anzügen. Wahrscheinlich waren es die Sargträger. Sie hätten in jedem Mafiosi-Film mitspielen können.
Die Frau, die Herrn Maibaum gekannt hatte, stand neben mir. »Nicht mal einen anständigen Sarg gönnt sie ihm.« Ich schaute sie fragend von der Seite her an. »Ein Billigsarg«, flüsterte sie für alle vernehmlich. »Presspappe. Nicht besser als ein Zementsack.«
Frau Maibaum drehte sich missbilligend nach uns um. »Scht!« Ein Pfarrer kam aus einer Seitentüre. Er postierte sich neben dem Altar, betrachtete die Anwesenden und nahm die Bibel, die auf dem Altar lag. Er machte einen Schritt nach vorne, schlug die Bibel auf und räusperte sich. Er leierte eine Textstelle aus den
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