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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Weile, bis sie den Kofferraum geöffnet hatten. Ein Spezialist mit einem großen Schlüsselbund musste erst kommen und öffnete den Kofferraum.
    »Sind Sie verletzt?«, fragte eine Polizistin zwischendurch. Ich verneinte. Die Sonne blendete mich, als der Kofferraumdeckel sich hob. Auf mich herab schauten eine Polizistin, ihr Kollege, das Ehepaar und der Schlüsselspezialist. Ich fühlte mich wie ein Außerirdischer. Sie halfen mir alle auf einmal aus dem Kofferraum. Ein Krake mit vielen Fangarmen hätte es nicht besser gekonnt. Die Frau hielt mir ein Tempotaschentuch hin.
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie Ihren Schlüssel erst nicht gefunden haben. Sonst wären Sie einfach davongebraust. Ich säße immer noch im Kofferraum.« Ich sah mich um. Wir standen vor einem Aldi-Center. Vorbeikommende schauten neugierig, blieben vereinzelt stehen. Der Polizist nahm meine Personalien auf. »Ist das Ihr Wagen?«
    »Nein.«
    »Gefahren sind Sie auch nicht?«
    »Ich habe keinen Führerschein.«
    »Wie kommen Sie in den Kofferraum?« Ich erklärte es ihm. Dass ich auf einer Begräbnisfeier war. Wie ich entführt wurde. Das Ehepaar hörte gespannt zu.
    »Wissen Sie, wer es war?« Ich verneinte.
    »Haben Sie einen Verdacht?« Ich überlegte. Mir fiel nur Frau Stadl ein. »Frau Stadl.«
    »Stadl?« Ich gab dem Polizisten die Adresse von Frau Stadl. Ich tat es aus reiner Bosheit. Sie würde bei ihrem Temperament aus der Haut fahren wie ein Rumpelstilzchen.
    »Warum verdächtigen Sie sie?«
    »Es ist nur ein vager Verdacht.« Er schrieb ›vage‹ mit einem ›w‹ und zwei ›aa‹. Wie Waage. Ich korrigierte ihn. Seine Kollegin, eine hübsche Blondine mit Pferdeschwanz, grinste und wendete sich ab.
    »Zeugen der Entführung?« Ich gab Frau Maibaum zu Protokoll, ihre Adresse, nannte die Freundin, den Pfarrer, die beiden älteren Herren und die vier Sargträger. Ich erwähnte den toten Herrn Maibaum. Die Frau aus dem Altersheim erwähnte ich ebenfalls.
    »Name?«
    »Keine Ahnung.«
    »Und Sie wissen wirklich nicht, wer Sie in den Kofferraum geworfen hat?«
    »Wirklich nicht.«
    »Und die haben Sie hier abgestellt und sind einfach so gegangen?«
    »Einfach so.«
    »Merkwürdig.« Er steckte sein Büchlein ein. »Sie hören von uns.« Ich war entlassen. Die Polizistin grüßte feixend, als sie und ihr Kollege gingen.
    »Was machen wir mit dem Auto?«, fragte sie im Weggehen. »Erst mal den Fahrzeughalter feststellen«, erwiderte er. Ich schaute auf das Nummernschild. Es war eine Berliner Nummer, die ich mir einprägte. Ich verabschiedete mich von dem Ehepaar. Sie wollten mich mitnehmen.
    »Wo sind wir denn?« Ich kannte die Gegend nicht, in der wir waren. Berlin ist groß.
    »Nähe Innsbrucker Platz.«
    »Das ist ganz bei mir in der Nähe.« Es war noch ein gutes Stück bis zum Stutti. Ich wollte die beiden aber loswerden. Die Frau sah mich enttäuscht an. Ich schaute hinüber zu dem Polizeiwagen. Der Polizist telefonierte. Bestimmt gab er die Nummer des Wagens durch, um den Halter zu ermitteln. Ich verabschiedete mich und eilte zu dem Polizeiauto. Ich wollte wissen, wer der Besitzer war. Der Polizist legte auf.
    »Haben Sie den Fahrzeughalter?«
    »Ja, aber ich darf Ihnen den Namen nicht geben. Vorschrift.« Die Polizisten fuhren los. Das Ehepaar stand immer noch neben dem vollen Einkaufswagen. Sie wirkten verloren. Ich winkte ihnen zu. Sie winkten zurück. Ich lief bis zur nächsten U-Bahn-Station. Unterwegs rief ich bei Ludwig und Martha an. Sie meldeten sich nicht. Wahrscheinlich schliefen sie noch. Ich hatte dringende Fragen an sie zu stellen.
    Ich fuhr zurück zum Friedhof. Das Begräbnis hatte längst stattgefunden und Herr Maibaum lag unter der Erde. Ich stand an dem frisch zugeschütteten Grab, in das ein schlichtes Holzkreuz gesteckt war. Auf dem Grab lagen drei mickrige Blumensträuße. Mehr war nicht drin gewesen für den alten Herrn. Selbst der Kunststoffkranz fehlte. Es war eine ganz traurige Wut, die ich spürte, eine mit schlappen Flügeln.
    »Sie schon wieder.« Sie hatte die unvermeidliche Kippe im Mund und in einem Karton waren Blumentöpfe. »Astern. Waren seine Lieblingsblumen.« Wir pflanzten die Astern in die Erde. Sie stellte keine Fragen wegen der Entführung. Neugierig war sie nicht. Als wir fertig waren, drehte sie sich eine neue Zigarette und zündete sie an. Sie blies mir den Rauch ins Gesicht.
    »Werden Sie öfters so abgeholt?« Sie grinste. Sie war ausgesprochen sympathisch. Ihr Gesicht war filigran.

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