Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
Vom Netzwerk:
Moment nicht ein.«
    »Wie sah er aus?«
    »Unscheinbar. Mager.«
    »Und wer waren die Männer, die den Toten abholten?«
    »Mein Gott, zwei Männer halt.« Barbara stand von ihrem Stuhl auf. »Gehen wir?«
    »Okay.« Ich hatte meine Tasse Tee nicht angerührt. Fruchtfliegen schwammen auf der Oberfläche. Es sah eklig aus. Ludwig glotzte. Er hatte schon zu viel Hirnmasse verloren durch den Suff. Vielleicht brauchte Martha genau das. Einen Hirnlosen, der ihre eigenen Makel übersah. Für ihn war sie immer die Diva. Ich hatte noch eine letzte Frage an Martha.
    »Warum hast du mir deine Zeichnung überhaupt gegeben?«
    »Ich schämte mich so, Fritz. Du warst der Einzige.«
    »Der Einzige?«
    »Dem ich vertraute.«
    Barbara und ich standen wieder an der Lewishamstraße. Der Verkehr rauschte nicht mehr. Die Orangen glühten immer noch unter der Bahnbrücke. Die Puffs am Stutti hatten rote Lichterketten.
    »Und jetzt?« Barbara fröstelte und lehnte sich an mich. Ich legte den Arm um sie.
    »Gehen wir ins Studio 2.«
    »Um die Uhrzeit?«
    »Ist der Laden bestimmt rappelvoll.«
    »Fritz, mit dir ist das Leben anstrengend.« Martha hatte mir die Adresse des Studio 2 aufgeschrieben. Es war in der Katharinenstraße, direkt am Ku’damm, ein Fußweg von zehn Minuten. Barbara hakte sich bei mir unter. Ich spürte die Leichtigkeit ihres Körpers. Sie nahm meine Hand. Unsere Finger verschränkten sich. Es fühlte sich sehr warm an. Zum Immer-Weiter-Gehen. Nie ankommen. Nie anhalten. Kein Ende. Wir liefen die Straße hinunter, als hätten wir nie etwas anderes getan.

Kapitel 7
    Meine Oma neckte mich gerne. Sie sagte: › Mein Süßer, wenn du Schmetterlinge in deinem Bauch hast, was machst du dann? ‹ Ich sah sie groß an. › Schmetterlinge im Bauch? ‹ Sie kitzelte mich und lachte. › Ja, mein Kleiner. Was machst du? ‹
    › Ich weiß es nicht, Oma. ‹
    › Du musst sie in die Luft blasen und ihnen zuschauen. ‹
    › Ist das alles? ‹
    › Oh, mein Liebling, das ist viel, viel mehr als alles. Es ist die ganze Welt. ‹
    › Und wenn sie wegfliegen? ‹
    › Fliegst du einfach hinterher. ‹
    › Geht das? ‹
    › Wenn du es willst, geht das. ‹ In meinem Bauch war ein einziges Flattern. Zitronenfalter, Pfauenaugen, Admirale, Schwalbenschwänze, Apollofalter, Zipfelfalter, Bläulinge. Wenn ich sie alle in die Luft bliese, wäre das Zimmer voll. Aber was, wenn ich die Augen öffnete, und da wäre kein einziger Schmetterling? Das Zimmer karg und leer? Ich wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Ich tastete nach Barbara. Ich fand sie nicht. Das Kissen atmete ihr Parfum. Eine Türe schlug zu. Ich schreckte hoch. Ich horchte. Vielleicht ein leises Klappern aus der Küche oder dem Bad? Kein Klappern. Ich sprang aus dem Bett und lief durch die Wohnung. Ich suchte nach ihr. Ich fand sie nicht. Nirgends. Ich schaute in der Abstellkammer nach. Bügelbrett, Staubsauger, auf Regalen Nudeln, Tomatendosen, Fischkonserven waren da. Sie war nicht da. Selbst unter das Bett wollte ich kriechen und Ausschau nach ihr halten. Ich konnte gerade noch davon Abstand nehmen. Nirgendwo Barbara. Sie war gegangen. Ich bekam Gänsehaut. Plötzlicher Frosteinbruch bei sommerlichen Temperaturen. Im Hinterhof zwitscherte eine Amsel. In keinem Gletscherspalt konnte es kälter sein als jetzt in meiner Wohnung. Hab’ Erbarmen, oh Herr. Oh weh, oh weh. Im Flur hing ein großer Spiegel. Vor dem blieb ich stehen. Das also bist du, dachte ich. Fritz, das unbekannte Wesen, gerade aus dem Weltall angekommen. Donnernd aufgekracht, wumm, Raumfähre zerschmettert. Pilot entstieg nackt den Trümmern. 1,78 Meter, Plattfüße, Halbglatze, sportliche Erscheinung mit ganz leichtem Ansatz von Bauch. Pilot versuchte ein Lächeln. Er hätte genauso gut einem Eisbären auf der Jagd nach Frischfleisch zublinzeln können. Eine etwas zu dick geratene Nase über ziemlich sinnlichem Mund. Kräftiges Kinn. Um die Augen herum eine gewisse Willensstärke erkennbar. Pilot kniff Augen zusammen, zog die Mundwinkel herunter. Stirnrunzeln. Streckte Kinn kühn immer geradeaus. Mir nach! Der Idiot, der aus der Kälte kam. Ein Meister im Verkennen der Gelegenheiten. › Du bist der seltsamste Charmeur, den ich kenne ‹ , frotzelte Maria, wenn die Angebetete den drangvoll sie umwerbenden Crashpiloten endlich erhört hatte, endlich lichterloh brannte, vor Liebeslust sich die Nase an den Scheiben des ›Dollinger‹ platt drückte auf der Suche nach ihm, und er ums Verrecken nicht einsehen

Weitere Kostenlose Bücher