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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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war lang und faltig, wie der einer Schildkröte, beim Schlucken bewegte sich sein Kehlkopf.
    »Vielleicht hat Martha uns etwas zu erzählen, was Sie nicht hören sollen.«
    Ludwig reagierte nicht auf Barbara. Er machte keinerlei Anstalten, die Küche zu verlassen. Er hatte nur wieder sein dämliches Kasperlegrinsen im Gesicht.
    »Ich kann alles hören, gell, Martha?« Martha hob den Kopf und sah ihren Lebensgefährten lange an.
    »Ich weiß nicht, ob du alles hören kannst.« ›Alles‹ betonte sie besonders. Ludwig drückte das Kreuz durch und saß jetzt kerzengerade.
    »Ich bin gewappnet, meine Prinzessin.« Das war einer der wenigen Momente, in denen Ludwig ernst war, etwas von seiner Seele schimmerte durch. Das spürte Martha. Sie kroch mit ihrer Hand unter seine, die flach auf dem Tisch lag, dort Schutz suchend.
    »Ich brauchte Geld. Wir brauchen immer Geld. Entschuldige, Ludwig, wenn ich das sage.«
    »Okay.«
    »Ich lernte auf einer der Beerdigungspartys Frau Körner kennen. Wir waren uns sympathisch. Sie machte mir ein Angebot.« Hier stockte sie. Ludwig drückte ihre Hand.
    Welches Angebot?« Es fiel ihr sichtlich schwer, über diese Offerte zu sprechen. »Martha!«
    »In der Wohnung von Frau Stadl als Domina zu arbeiten.« Jetzt war es heraus. Martha schaute uns an, als erwarteten wir, dass sie vor Scham sofort unter den Tisch kroch, dort wehklagte und uns alle um Verzeihung bat.
    »Mit Latex?« Ludwig feixte albern in die Runde. Marthas türkisfarbene Augen waren jetzt basaltdunkel. Ihr Kussmund eher verhangen. »Und?«
    »Ich nahm ihr Angebot an. An einer Session nahm Frau Maibaum teil. Die da.« Sie zeigte auf das Bild, das sie gezeichnet hatte. »Ich weiß nicht, warum sie dabei war. Der Mann hing an diesem Galgen. Man hatte ihn in der Wohnung von der Stadl aufgebaut. Der Mann sollte präpariert werden. Es war ein schwerer Mann.«
    Barbara unterbrach sie. »Präparieren? Was heißt das?«
    »Frau Körner sagte mir, der Mann müsse für Frau Maibaum präpariert werden. Das war so ein Standardausdruck von ihr. Präparieren wofür, sagte sie nicht. Ich habe auch nicht gefragt. Ich fand das alles grässlich.« Ludwig richtete sich noch steifer auf. »Und dann?«
    »Beim Hochziehen an den Galgen löste sich der Strick. Der Mann trug um die Brust einen Gurt, an dem der Strick befestigt war. Der Knoten war aufgegangen. Wir befestigten den Strick neu und zogen den Mann wieder hoch. Er stöhnte, zappelte mit den Beinen und die Zunge hing ihm aus dem Mund. Er pinkelte und breitete die Arme aus, die er hektisch auf und ab schwenkte, wie ein fetter Hahn die Flügel. Wir ließen ihn wieder herunter. Auf dem Boden röchelte er heftig. Dann tat er nichts mehr. Wir holten einen Arzt. Er stellte den Tod fest und füllte einen Totenschein aus.« Sie schwieg wieder. Ihr Ton war völlig sachlich, als berichtete ein Tierpräparator über seine Arbeit an einem Affen oder Meerschweinchen.
    Barbara runzelte die Stirn. »Der Arzt stellte so ohne Weiteres einen Totenschein aus? Ohne Fragen zu stellen? Sehr ungewöhnlich. Was passierte dann?«
    »Der Mann wurde abgeholt. Zwei Männer trugen ihn auf einer Bahre aus der Wohnung.« Ich mischte mich ein. »Ist der Mann am Galgen Herr Maibaum?«
    »Nein, das ist er nicht. Ich zeichnete das Bild vor einer Woche. Da lebte Herr Maibaum noch.«
    »Hast du eine Ahnung, wer es sein könnte?«
    Martha schüttelte verneinend den Kopf. Ludwig ließ ihre Hand los. »Du machst ja Sachen!« Er sah bekümmert aus. »Warum tust du denn so was?« Er markierte den völlig Ahnungslosen. Ich glaubte ihm nicht.
    Martha raffte den Bademantel über ihrer Brust zusammen. Er hatte sich geöffnet. »Geld. Sagte ich doch.«
    »Wir haben genug Geld. Bestimmt hat es dir auch Spaß gemacht, die Männer zu präparieren!« Ludwig wippte mit dem Oberkörper rauf und runter. Dabei hatte er beide Hände flach auf den Tisch gelegt.
    »Haben Sie des Öfteren an solchen Präparierungen teilgenommen?« Barbara saß immer noch ganz dicht vor Martha. Die wich ihr aus. Ludwig wippte immer noch.
    »Jetzt hör mal auf!«, herrschte ich ihn an.
    »Was?« Erschrocken beendete er die Wipperei.
    Barbara insistierte. »Was ist?«
    Martha druckste herum. »Nein«, sagte sie schließlich. Ich glaubte ihr kein Wort. »Als ich das letzte Mal hier bei euch war, habt ihr mich ja gewaltig angelogen!«
    Ludwig riss ungläubig die Augen auf. »Ja?« Er machte jetzt einen ganz auf blöd und wollte schon wieder mit dieser Wipperei anfangen.

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